Donnerstag, 27. Juni 2024

eurotopics: EU-Spitzenposten: Hat man die Richtigen ausgesucht? und andere Probleme

 Vor dem am heutigen Donnerstag beginnenden Gipfel haben Medien über eine Einigung auf die höchsten Ämter in der EU berichtet: Die Deutsche Ursula von der Leyen (EVP) soll Kommissionspräsidentin bleiben, der Portugiese António Costa (S&D) Präsident des Europäischen Rates werden und die Estin Kaja Kallas (Renew Europe) das Amt der EU-Außenbeauftragten übernehmen. Kommentatoren bewerten die Entscheidung aus ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten.

NRC (NL)

Parteipolitik dominiert

NRC-Kolumnist Luuk van Middelaar blickt auf das Zusammenspiel zwischen Parteien- und Länderproporz:

„Parteipolitik dringt in die europäische Politik, an immer mehr Stellen und mit unerwarteten Folgen. ... In der EU ist die Chefin der Fratelli d'Italia auch die Anführerin der konservativen und radikal-rechten ECR, zu der auch polnische Nationalisten sowie finnische und schwedische Rechtsradikale gehören. Diese Fraktion wird aber aus der Koalition der anderen drei ausgeschlossen. ... Der diplomatische Affront gegen Meloni wurde größer, weil mit ihrer Partei zugleich auch der drittgrößte EU-Mitgliedstaat im Abseits stand. Erniedrigend. ... Meloni wird Wiedergutmachung fordern, zum Beispiel mit einem starken Kommissionsposten für Italien.“

Luuk van Middelaar
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
ABC (ES)

Rechtsruck nicht einfach ignorieren

ABC sieht einen großen Fehler:

„Die Verteilung erweckt den Eindruck, dass die EU-Institutionen weiterarbeiten, als wäre an der Urne nichts geschehen. ... Italiens Regierungschefin hat sich zu Recht über die mangelnde Berücksichtigung der von ihr vertretenen Ideen beklagt. Meloni argumentiert, dass die letzten Wahlen 'das Gravitationszentrum' innerhalb der EU verändert haben, und hält das vorgeschlagene Triumvirat der Kontinuität für 'surreal'. ... Meloni zu isolieren ist ein Fehler. ... Sowohl beim Thema Ukraine als auch bei der Einwanderung hat sie Europäismus bewiesen. Die neue EU-Führung muss den Wählern der aufstrebenden Kräfte entgegenkommen. ... Andernfalls werden im europäischen Projekt nur Spaltung und Unzufriedenheit der Bürger zunehmen.“

Zum Originalartikel
Teilen auf
 
LA REPUBBLICA (IT)

Sich einigeln oder Isolation überwinden

Meloni muss jetzt entscheiden, wie sie mit der Situation umgeht, kommentiert La Repubblica:

„Das Gesamtbild zwingt Ursula von der Leyen, Italien gegenüber weniger entgegenkommend zu sein als in den letzten Monaten. Denn die Kommissionspräsidentin weiß, dass ein zu großer Schritt auf Meloni zu sie die Stimmen der Sozialisten im Europäischen Parlament kosten würde. Sie will daher vertraulich und auf institutioneller, nicht auf politischer Ebene mit Meloni verhandeln. … Der einzige Verhandlungspunkt ist das Ressort, das dem italienischen Kommissar zugewiesen werden soll, wobei es das Gewicht Italiens und nicht das der Fratelli d'Italia zu beherzigen gilt. ... Zwischen heute und morgen hat Meloni eine Wahl: aus der Isolation herauskommen oder sich darin einigeln.“

Claudio Tito
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
CORREIO DA MANHÃ (PT)

Costa bringt ideale Voraussetzungen mit

Correio da Manhã glaubt, dass ganz Europa von der Ernennung des portugiesischen Ex-Premiers António Costa zum EU-Ratspräsidenten profitieren könnte:

„Das Verhandlungsgeschick und die diplomatischen Fähigkeiten eines portugiesischen Regierungschefs, der sein Leben lang Brücken gebaut hat, werden in den Dienst der europäischen Integration gestellt. ... In den kommenden Jahren steht Europa vor der Herausforderung der Erweiterung. Viele Länder außerhalb der Gruppe der 27 betrachten den gemeinsamen Raum als einen Traum, den es zu verwirklichen gilt. Diese Arbeit wird auf der Ebene des Europäischen Rates geleistet werden. António Costa bringt die idealen Voraussetzungen mit, um diesen Prozess zu leiten und damit Mister Europa zu werden.“

Carlos Rodrigues
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
EESTI PÄEVALEHT (EE)

Kallas soll ihre Stärken ausspielen

Kolumnist Marti Aavik drückt seiner Landsfrau in einem Beitrag für Eesti Päevaleht die Daumen:

„Kaja Kallas hat die Chance, das Amt der Hohen Vertreterin der EU für Außenpolitik auf eine neue Ebene zu heben. Noch nie hat eine Person mit der Medienpräsenz von Kallas diese Position erreicht, auch kein Premier. Noch wichtiger ist jedoch, was Kaja Kallas und ihr künftiges Team für die gesamte freie Welt tun werden. Besonders in diesen sehr dunklen Zeiten. Ihre Stärken wird sie zu nutzen wissen und ich drücke ihr die Daumen, dass es ihr gelingen möge, ihre Schwächen zu überwinden. Was ist die Schwäche? In der Innenpolitik war Kaja Kallas eher spröde und unfähig, Regierungen als Team zu führen.“

Marti Aavik
Teilen auf
Zum Originalartikel
EU-Spitzenposten: Hat man die Richtigen ausgesucht?
Teilen auf
Keine Ferienwohnungen mehr: Vorbild Barcelona?

Barcelonas Bürgermeister Jaume Collboni hat angekündigt, alle Lizenzen für Touristenwohnungen innerhalb von fünf Jahren auslaufen zu lassen. Damit will er die Wohnungsnot in der Stadt mildern und die Verschlechterung der Lebensqualität in den Wohnvierteln stoppen. Die Reaktion in Europas Presse zeigt, dass das Thema Übertourismus viele beschäftigt.

EL MUNDO (ES)

Beschränkungen nützen wenig ohne Kontrollen

El Mundo ist skeptisch:

„Das Verbot von Touristenwohnungen ist riskant. Praktische Resultate sind ungewiss, wie die Erfahrungen in New York zeigen, wo die [Wohnungs-]Preise weiter gestiegen sind und sich das Angebot in die umliegenden Städte verlagert hat. ... Mit einem Anteil von rund 13 Prozent am BIP ist der Tourismus einer der großen wirtschaftlichen Trümpfe Spaniens. Deshalb müssen klare Regelungen geschaffen werden, damit die Branche nicht gebremst wird und Nachhaltigkeit und Qualität garantiert bleiben. ... Beschränkungen nützen wenig, wenn sie nicht von Kontrollen begleitet werden und illegal angebotene Wohnungen ausfindig gemacht werden. Sie könnten sogar kontraproduktiv sein, wenn der Schwarzmarkt nicht kontrolliert wird.“

Zum Originalartikel
Teilen auf
 
THE INDEPENDENT (GB)

Geisterstädte und Wildwuchs

Auch in Großbritannien wäre eine Regelung wünschenswert, findet The Independent:

„Fragen Sie einfach die Bewohner der schönsten Küstendörfer Großbritanniens – wenn Sie denn welche finden. Außerhalb der Saison ist es in Orten wie Robin Hood's Bay in North Yorkshire, Whitstable in Kent und Mousehole in Cornwall oft stockdunkel. Niemand ist zu Hause, weil es sich kaum jemand leisten kann, dort zu wohnen. ... Diese Orte werden so zu Geisterstädten. In London beschuldigen kaputtgesparte Bezirksverwaltungen Buchungsplattformen, nicht genug dagegen zu tun, dass kommunale Wohnungen illegal und mit großem Gewinn an Touristen untervermietet werden – zu einer Zeit, in der Tausende von Menschen auf Wartelisten für eine dauerhafte Wohnung stehen.“

Paul Clements
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
KATHIMERINI (GR)

Investoren zu bezahlbaren Unterkünften verpflichten

Kathimerini fordert Maßnahmen auch in griechischen Destinationen:

„Wenn der griechische Staat einem großen Tourismusunternehmen eine Betriebsgenehmigung erteilt, um in einem relativ kleinen Ort zu bauen, sollte er die Investoren dann nicht verpflichten, Unterkünfte für ihr Personal bereitzustellen? Oder ihnen gestatten, Ein- oder Zwei-Sterne-Hotels zu bauen, in denen die Mitarbeiter untergebracht werden können, d. h. monatsweise Vermietungen erlauben, was derzeit verboten ist? Auf diese Weise würden wir diese schockierenden Geschichten über Luxushotels vermeiden, die ihre Mitarbeiter unter miserablen Bedingungen unterbringen, und wir würden sowohl die lokalen Gemeinschaften als auch den Zugang zu diesen Reisezielen für Menschen schützen, die es sich nicht leisten können, exorbitante Summen für ein Zimmer zu bezahlen. “

Alexis Papachelas
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
EXPRESSEN (SE)

Den Ansturm der Massen bremsen

Wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt, wird das Reisen bald für niemanden mehr eine Freude sein, meint Expressen:

„Wir Touristen werden langsam so viele, dass wir, statt die Fontana di Trevi, die Mona Lisa oder was auch immer zu betrachten, nur noch ein Meer aus lauter anderen Touristen sehen. ... Nicht einmal den Mount Everest gibt es mehr. Statt den Berg zu besteigen, stehen die Leute buchstäblich bis zum Gipfel an. Mit ihren Handys im Anschlag natürlich. Ein Hoch auf die Bewegung des Widerstands! Dem Massentourismus muss entgegengetreten werden, er muss schwieriger und teurer werden und es braucht weitaus mehr Fotografie-Verbote. Wer die Wirklichkeit nur mit seinem Handy aufnehmen kann, der kann auch zu Hause bleiben und googeln.“

Ann-Charlotte Marteus
Teilen auf
Zum Originalartikel
Keine Ferienwohnungen mehr: Vorbild Barcelona?
Teilen auf
Assange frei, die Presse auch?

Nach einem Deal mit der US-Justiz ist Julian Assange auf freiem Fuß. Vor einem US-Gericht der Pazifikinsel Saipan bekannte sich der Wikileaks-Gründer der Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe geheimer Informationen schuldig. Seine Strafe gilt mit der fünfjährigen Haft in Großbritannien als abgebüßt, am Mittwoch wurde Assange in seiner australischen Heimat von seiner Familie in Empfang genommen.

PÚBLICO (PT)

Wir schulden ihm Dank

In Público zollt die Publizistin Carmo Afonso dem Wikileaks-Gründer Respekt:

„Assanges Einverständnis scheint ein Urteil verhindert zu haben, das die Freiheit aller Journalisten bedroht hätte. Ich spreche von einer konkreten Bedrohung: Gerichtsurteile schaffen Präzedenzfälle und beeinflussen zukünftige Entscheidungen. Julian Assange hat sich selbst gerettet, indem er diesen Deal akzeptiert hat. Aber letztlich hat er viel mehr getan als das. ... Er hat stark belastende Informationen an die Öffentlichkeit gebracht, von denen wir nie erfahren hätten. ... Dafür schulden wir ihm Dank. Und wir sind ihm auch dafür zu Dank verpflichtet, dass er gezeigt hat, dass die demokratischen Gesellschaften, in denen wir leben, keine Horte der Freiheit und der Menschenrechte sind.“

Carmo Afonso
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
E-VESTNIK (BG)

In Russland wäre er schon längst tot

Am Umgang mit Assange beweisen sich die USA als Rechtsstaat, applaudiert e-vestnik:

„Die USA führten jahrelang einen Rechtsstreit vor britischen und US-amerikanischen Gerichten, bis sie schließlich einen Vergleich erzielten und Assange freiließen. Weder wurde er vergiftet noch ist er aus dem Fenster gefallen. In Russland hätte kein Gericht ein solches Urteil gefällt. Unschuldige sitzen jahrelang mit erfundenen Anschuldigungen im Gefängnis. Hätte Alexej Nawalny geheime russische Akten ins Internet gestellt, wäre er schon längst erschossen worden.“

Ivan Bakalov
Teilen auf
Zum Originalartikel
Assange frei, die Presse auch?

sieh auch: Wohnungsnot 2019