Dienstag, 23. August 2022

euro|topics: Stimmen zum Dugina-Anschlag und zum möglichen Ausgang des Ukrainekriegs

 

Dugina-Anschlag: Ist Russlands Version plausibel?

Knapp zwei Tage, nachdem die rechtsnationalistische Aktivistin Darja Dugina nahe Moskau durch eine Autobombe ums Leben kam, haben russische Ermittler eine Verdächtige präsentiert: Der Anschlag auf die Tochter des Ideologen Alexander Dugin sei von der Ukrainerin Natalja W. verübt worden, die aber direkt nach Estland geflohen sei. Europas Presse ist skeptisch.

CORRIERE DELLA SERA (IT)

Die perfekte Erklärung

Die "Aufklärung" des Dugina-Mordes in Rekordzeit hätte man sich kaum besser ausdenken können, findet Corriere della Sera:

„Die Beschuldigung der Ukrainerin Natalja W. ist eine perfekte Kombination. Sie vereint den Feind der Stunde, die mögliche Vertuschung im Ausland mit der Flucht der 'Schuldigen' nach Estland, den ukrainischen Geheimdienst, den Vorwand für eine Reaktion. ... Die Tatsache, dass sich die Frau jetzt außerhalb der Grenzen befindet, erübrigt einen Prozess. Nicht, dass dies ein Problem wäre, aber auf diese Weise kann die Anklage zu einem Druckmittel gegenüber Estland werden. All dies, um die Peinlichkeit eines harten Schlags auf die Sicherheit mit einem Satz zu überwinden.“

Guido Olimpio
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NESAWISSIMAJA GASETA (RU)

Unvoreingenommene Untersuchung nötig

Nesawissimaja Gaseta fürchtet, dass die schnell präsentierte Version echte Ermittlungen vernebelt:

„Bei Ermittlungen sollte es keine vorgegebenen gewünschten Orientierungspunkte geben. Sie müssen Qualität haben, unvoreingenommen sein und ihre Schlüsse überzeugend. ... Wenn die Ermittler sofort eine Arbeitshypothese und ein Motiv haben, ist es schwer nachvollziehbar, warum das Opfer nicht vorab gewarnt und beschützt wurde und die Schritte der Täter nicht vorausberechnet. Die ukrainische Spur entlässt niemanden aus der Verantwortung und beruhigt nicht im Geringsten die Bürger, die sehen, dass selbst unter rigiden Maßnahmen ihre Sicherheit nicht gewährleistet ist.“

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WPROST (PL)

Praktischer Vorwand

Das Attentat kommt der russischen Regierung gelegen, glaubt Wprost:

„Wie erwartet machte der Kreml die ukrainischen Geheimdienste für den Mord an Darja Dugina verantwortlich. Eine andere in Russland kursierende Version spricht von einer Aktion eines bewaffneten Untergrunds, der gegen die Regierung kämpft. Beide Varianten haben den Vorteil, dass sie dem Regime freie Hand lassen, offen Jagd auf innere Feinde zu machen, die die Einheit Russlands stören. Das ist sehr wichtig in einer Zeit, in der russische Urlauber auf der Krim in Panik vor dem ukrainischen Bombardement von Militärbasen der Russischen Föderation in ihre Heimat fliehen und Hiobsbotschaften nach Hause bringen, die im Fernsehen des Regimes nicht gezeigt werden.“

Jakub Mielnik
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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (DE)

Erinnerung an die 1990er

Der Krieg hat die russische Hauptstadt erreicht, schreibt die Süddeutsche Zeitung:

„Dass nun wieder eine Zeit anbrechen könnte, in der Anschläge zu einem Gewaltmittel in den russischen Großstädten werden, ähnlich der düsteren Serie in den 1990er Jahren während der Tschetschenienkriege, dürfte man in Moskau als schreckliches Szenario sehen. Raketen auf die Grenzregion um Belgorod, brennende Depots im Touristen-Hotspot Krim, eine Autobombe gegen die Kriegsbefürworterin Darja Dugina, all dies könnte die russische Gesellschaft aufschrecken und erkennen lassen, dass der Krieg näher rückt und auch ihr gefährlich wird. Umso deutlicher wiederum wird die russische Führung nun versuchen, die Bevölkerung hinter sich zu scharen.“

Frank Nienhuysen
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MEDIAFAX (RO)

Bombenleger mit langer Tradition

Auch der Historiker Marius Oprea, der in Mediafax schreibt, fühlt sich an die Aktionen der russischen Unterwelt der 1990er Jahre erinnert:

„Zumindest in der Zeit von Jelzin waren diese 'Sprengfallen' eine wahre Tradition, um 'Konten zu begleichen' zwischen Oligarchen, Politikern, dem organisierten Verbrechen. ... Diese echten paramilitärischen Truppen des organisierten Verbrechens bestanden wiederum aus Veteranen, die entweder vor langer Zeit im Afghanistan-Konflikt dabei waren oder in den jüngeren Tschetschenien-Kriegen. Die Anbringung einer Bombe in einem auf einem Parkplatz abgestellten Auto ist für sie ein Routinejob. ... Wer immer dieses Verbrechen begangen hat, mir ist klar, dass er aus dieser Welt kommen muss.“

Marius Oprea
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Dugina-Anschlag: Ist Russlands Version plausibel?
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Wie soll der Krieg gegen die Ukraine ausgehen?

Ein halbes Jahr dauert der russische Krieg gegen die gesamte Ukraine nun schon an und die Frage, ob er "gewinnbar" ist, und wenn ja, von wem, erlangt in Europas Öffentlichkeit stärkere Bedeutung. Die Ukraine will besetzte Gebiete zurückerobern und kündigte eine Offensive an. Russland verschärft seine Angriffe und setzt auf die Angst vor Energiekrisen und nuklearer Gefahr. Die Presse analysiert die Lage.

RZECZPOSPOLITA (PL)

Moskau ist in der Defensive

Der Krieg läuft für Putin alles andere als nach Plan, schlussfolgert Rzeczpospolita:

„Die Ukrainer haben begonnen zuzuschlagen. Und das an Putins empfindlichstem Punkt: der Krim. Und wieder einmal hat sich gezeigt, dass die russische Korruption und die mangelhaften Waffen gegenüber den Technologien, die Kyjiw vom Westen erhält, den Kürzeren ziehen. ... Am Samstagmorgen meldete die russische Regierung, dass eine Drohne direkt über dem Dach des Hauptquartiers der Schwarzmeerflotte abgeschossen wurde. ... Man kann sich kaum vorstellen, was Putin tun würde, wenn die Ukrainer die von ihm gebaute Krimbrücke zerstört hätten. Eine Generalmobilmachung? Die Ausrufung eines weiteren Vaterländischen Krieges? Er befindet sich in der Defensive.“

Rusłan Szoszyn
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THE GUARDIAN (GB)

Putin will sich bald als Sieger feiern lassen

Moskau mag seine ursprünglichen Kriegsziele in der Ukraine verfehlt haben, das ist aus propagandistischer Sicht aber nicht weiter schlimm, analysiert Kolumnist Philip Short in The Guardian:

„Moskau muss nicht viel erreichen, damit Wladimir Putin den Sieg für sich beanspruchen kann. Russland würde es reichen, den gesamten Donbass und die Landbrücke zur Krim zu kontrollieren. Putin hätte bestimmt gerne mehr. Wenn russische Truppen Odessa und die angrenzende Schwarzmeerküste einnehmen, würde dies die Ukraine zu einem Vasallenstaat machen. Aber selbst bescheidenere Erfolge würden die Grenzen der US-Macht aufzeigen. Es ist möglich, dass die Ukraine dies mit solider westlicher Unterstützung verhindern kann. Doch es ist alles andere als sicher.“