Dienstag, 27. Oktober 2020

euro|topics: Fallstricke der Pandemiebekämpfung

 


Europas Regierungen sind alarmiert angesichts dramatisch steigender Corona-Infektionszahlen. In einigen Ländern wie Irland oder Tschechien wurden wieder Geschäfte geschlossen, in Spanien gilt seit Montag eine Ausgangssperre, Italien versucht, der Lage unter anderem mit der Schließung von Restaurants ab 18 Uhr Herr zu werden. Doch diese Maßnahmen ernten immer mehr Widerspruch aus der Presse.

PRIMORSKE NOVICE (SI)

Schluss mit Ohrfeigen und Süßigkeiten

Maßnahmen müssen den Bürgern auf respektvolle und verständliche Weise präsentiert werden - was in Slowenien nicht der Fall ist, empört sich Primorske novice:

„Die Regierung verabschiedet von heute auf morgen Verordnungen mit immer neuen Beschränkungen, von Ausgangssperren bis zum Verbot des Überschreitens von Gemeindegrenzen. Dabei sind die Erklärungen so verwirrend, dass selbst diejenigen, die sie kommunizieren sollen, sie nicht verstehen. ... Eine Regierung, die ihre eigenen Bürger wie hilflose Kinder behandelt, an die abwechselnd Süßigkeiten und Ohrfeigen verteilt werden, zeigt wenig Respekt vor ihnen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass ihr trotz deutlich mehr Infektionen als im Frühjahr viele Menschen nicht vertrauen und sich offen oder verdeckt den Regeln widersetzen.“

Mitja Marussig
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LA REPUBBLICA (IT)

Wir brauchen mehr Kultur, nicht weniger

In Italien müssen seit Montag Kinos, Theater und Konzerthallen erneut schließen. Die Kulturschaffenden wehren sich gegen diese Maßnahmen. Soziologin Chiara Saraceno gibt ihnen in La Repubblica recht:

„Gerade weil wir den Ernst der Pandemie verstehen, auch in ihren möglichen Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt, der sich in diesen Tagen an der Belastungsgrenze befindet, brauchen wir mehr Kultur. Mehr Gelegenheiten, nicht nur, um sich zu entspannen, um sich abzulenken, sondern auch um darüber nachzudenken, wie sehr die Pandemie das Leben aller erschüttert, wie viele und welche Ungleichheiten das Virus vertieft oder schafft, welche neuen Denk- und Handlungsweisen wir gemeinsam finden müssen, um uns nicht in Angst zu verlieren und gemeinsam wachsame und verantwortungsbewusste Menschen zu bleiben.“

Chiara Saraceno
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DER STANDARD (AT)

Koste es, was es wolle

Das Nachverfolgen der Infektionsketten muss gerade unter schwierigen Bedingungen höchste Priorität genießen, fordert Der Standard:

„Liebe Contact-Tracerinnen und -Tracer, gebt nicht auf! Eure Tätigkeit ist die Grundlage dafür, dass die Pandemie nicht außer Kontrolle gerät und das Gesundheitssystem lahmlegt. Nur die Verfolgung der Kontakte von Personen, die als infektiös und möglicherweise infektiös eingestuft werden, und die damit verbundene Warnung von Kontaktpersonen können momentan das Virus stoppen. ... Zum Nichtaufgeben gehört auch um Hilfe schreien, wenn der Aufwand nicht mehr zu bewältigen ist. Das haben in den vergangenen Tagen Contact-Tracer bereits in mehreren Bundesländern getan. ... Das berühmte 'Koste es, was es wolle' muss auch für die personelle Ausstattung des Contact-Tracings gelten.“

Michael Simoner
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NÉPSZAVA (HU)

Ungarn darf nicht weiter zögern

Népszava fordert striktere Maßnahmen auch für Ungarn:

„Das Kabinett weist immer wieder auf die Nationale Konsultation [eine landesweite Umfrage der Regierung] hin, wonach eine Mehrheit das normale Leben im Land aufrecht erhalten will. Dennoch gibt es Zeiten, in denen die Regierung sich gegen die Volksmeinung stellen muss. ... Bei einer sich so schnell ausbreitenden Pandemie kann man es nicht schaffen, die Wirtschaft und das Gesundheitswesen gleichzeitig am Leben zu erhalten. Das Leben kann auch nach der Entwicklung eines Impfstoffs nie mehr genauso werden, wie es war. Umso weniger, wenn die Regierung aus der Pandemiebekämpfung eine politische Frage macht. ... Es muss auch in Ungarn klar gesagt werden: Man braucht wieder eine Ausgangsbeschränkung, feste Einkaufszeiten, die Schließung der Schulen und viel mehr Tests.“

Róbert Friss
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Montag, 26. Oktober 2020

euro|topics: Unter der Gürtellinie: Erdoğan gegen Macron


Erdoğan hat Macron als geisteskrank verhöhnt. Er bezog sich dabei auf dessen Äußerungen nach der Ermordung Samuel Patys, dass der Islam in der Krise sei. Ankara und Paris sind in der Vergangenheit wiederholt aneinandergeraten, etwa im Streit um das Vorgehen in Libyen, das Gas im Mittelmeer und jüngst im Konflikt um Berg-Karabach. Was bedeutet dieser neue Eklat?

RIA NOWOSTI (RU)

Der Schutzherr der Moslems rüstet für den Krieg

Macrons Ankündigung, mit mehr Härte gegen Islamisten vorzugehen, lassen für Ria Nowosti eine neue Konfliktlinie durchscheinen:

„Man kann über die Sinnhaftigkeit und Effektivität der gewählten Taktik streiten, aber für gegenwärtige westliche Verhältnisse handelt es sich um scharfe Methoden. Auf der Gegenseite präsentiert sich Erdoğan auf internationaler Ebene immer lauter als Verteidiger und Schutzherr aller Moslems des Planeten. Er interpretiert das aktuelle Vorgehen Europas als Krieg gegen den Islam als solchen.“

Irina Alksnis
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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (DE)

Erdoğan gibt sich gern als Opfer

Reines Kalkül vermutet die Frankfurter Allgemeine Zeitung hinter dem Schimpfen des türkischen Präsidenten:

„Erdoğan bedient allzu gern den Opfer-Topos und wirft Europa Rassismus gegen Muslime vor. Kein Wort zu den Verbrechen, die im Namen des Islams begangen werden, ... von selbsternannten 'Gotteskriegern'. Die aber sind keine Leute, die nur besonders gläubig sind und womöglich mit der säkularen Welt nicht zurechtkommen, sondern Killer, mit nicht selten krimineller Vergangenheit, die ihre Taten religiös verbrämen. ... Macron hat recht, wenn er dazu aufruft, den Feinden der freien Gesellschaft entgegenzutreten. Der autoritär-islamische Erdoğan sieht in der freiheitlichen Selbstbehauptung, natürlich, einen antimuslimischen Kulturkampf. Es erfüllt einen politischen Zweck, wenn er darüber schwadroniert.“

Klaus-Dieter Frankenberger
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NAFTEMPORIKI (GR)

Muslime wähnen sich unter christlicher Besatzung

Naftemporiki greift gängige Argumente von Islamophoben und Rechtsextremen auf und argumentiert mit nicht belegten Zahlen:

„Im 21. Jahrhundert leben in Europa, einschließlich Russland und der europäischen Türkei, mehr als 70 Millionen Muslime. Davon leben rund 18 Millionen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. ... Das erste, was Neugeborene lernen, ist, dass sie 'unter christlicher Besatzung' leben. … In Frankreich und Belgien hat diese Art von 'Katechismus' unglaubliche Ausmaße angenommen, was sich an der Zahl der jungen Menschen zeigt, die in den letzten fünf Jahren nach Syrien und anderswohin gereist sind, um gemeinsam mit anderen Söldnern des islamischen Staates gegen die 'Ungläubigen' zu kämpfen.“

Athanasios Papandropoulos
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EL PAÍS (ES)

EU darf das nicht durchgehen lassen

Brüssel sollte der Türkei klare Grenzen aufzeigen, rät El País:

„Die Auseinandersetzung ist nicht nur bilateral. Zusätzlich zur Frage im Mittelmeer setzt Erdoğan auf eine aggressive Außenpolitik, die in vielerlei Hinsicht zu Konflikten führt. ... Die islamisch-nationalistische Dialektik, die ihn dazu gebracht hat, Macrons Gesetzgebung gegen die dschihadistische Ideologie in Frankreich scharf zu kritisieren und in eine ihm nicht zustehende Rolle des Glaubensschützers zu schlüpfen, reiht sich in eine lange Liste problematischer Punkte ein. Die EU sollte sich gegenüber diesen inakzeptablen Haltungen von ihrer strengen Seite zeigen.“

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