Donnerstag, 2. März 2017

Junckers Szenarien zur Zukunft der EU (euro|topics)

Jean-Claude Juncker hat vor dem EU-Parlament skizziert, wie die Gemeinschaft ihre Krise überwinden könnte. Die fünf in dem lang erwarteten "Weißbuch" zur Zukunft der Union präsentierten Szenarien reichen von einer losen Handelsunion hin zu einer nahezu allmächtigen Zentrale in Brüssel. Dabei steht für den Kommissionschef fest: ein "Weiter so" darf es nicht geben. Was hält die europäische Presse von Junckers Ideen?
DER STANDARD (AT)

Kommissionschef zieht das Tempo an

Mit seinem Weißbuch hat Juncker den Ball zu Recht den Regierungen zugespielt, findet Der Standard:
„Die Brexit-Abstimmung liegt ganze acht Monate zurück, 28 Regierungschefs haben zur Zukunft der EU seither nichts vorangebracht. ... Diese müssen endlich eine Grundsatzentscheidung treffen, wohin die Reise gehen soll. Alle Varianten - von loser Wirtschaftsgemeinschaft bis zur politischen Union - liegen auf dem Tisch. Begrüßenswert ist, dass der Kommissionschef für seine Erklärungen das EU-Parlament als Ort wählte. Die Abgeordneten als Vertreter der Völker müssen in Zukunft bei jeder Reform der Union eine Schlüsselrolle spielen. Denn eines ist offensichtlich: Für die tiefe Krise - auch demokratiepolitisch - sind vor allem die Regierungen der Mitgliedsstaaten verantwortlich. Weil im Rat der Regierungschefs zu viele übersteigerte Egos sitzen, wegen deren Unentschlossenheit und Nationalismus, geht in Europa nichts weiter.“
Thomas Mayer
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DEUTSCHLANDFUNK (DE)

Aufruf, Farbe zu bekennen

Viele Beobachter hätten sich von Juncker klarere Standpunkte gewünscht und nicht nur eine grobe Skizze möglicher Szenarien, doch der Deutschlandfunk begrüßt dieses Vorgehen:
„Die Zukunft der Europäischen Idee steht auf dem Spiel, und um ihren Gedanken im Kern zu retten ist jetzt unkonventionelles Denken gefragt, keine Denkschablonen oder -verbote. … Es gilt nicht mehr, die EU gegen einen monolithischen Block wie im Kalten Krieg zu verteidigen, sondern eine Idee zu retten, indem man sie praktikabler und für die Menschen akzeptabler gestaltet. Mit einigen halbwegs offenen Szenarien voran zu gehen ist richtig, auch wenn es schon wieder Kritik daran hagelt, das Ganze sei zu schwammig und unentschieden. Eine EU-Kommission allein kann und darf nicht über den künftigen Weg Europas entscheiden. Alle sind jetzt aufgerufen, Farbe zu bekennen.“
Bettina Klein
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DE STANDAARD (BE)

Nicht einmal mehr Juncker verteidigt Europa

Enttäuscht von der Präsentation Junckers zeigt sich hingegen De Standaard:
„Der Führer der wichtigsten europäischen Institution verteidigt also die Idee Europa nicht länger öffentlich. Vor etwa einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen. Was könnte deutlicher zeigen, wie sehr die Europa-Skepsis auf dem Vormarsch ist? Junckers Präsentation soll wohl rüberkommen als ein Ausdruck von mehr Demokratie, als Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten mit ihren Parlamenten, NGOs und Bürgerforen jetzt breit über die Zukunft von Europa diskutieren können. Doch man kann das Ganze auch anders sehen: Dass die Kommission 'objektiv' bleibt, ist nicht nur ein Eingeständnis der Schwäche, sondern auch ein Ausdruck von politischem Realismus. Europa wurde nicht der demokratische Ort, den viele sich erträumt hatten. ... Stattdessen melden sich diejenigen lautstark, die die Nationalstaaten wieder errichten wollen. Sie haben kein europäisches Gegengewicht.“
Karel Verhoeven
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CONTRIBUTORS (RO)

Osteuropa soll rausgedrängt werden

Die Agenda hinter den Plänen zur Veränderung der EU verschweigt Juncker, schimpft Politikexperte Valentin Naumescu auf dem Blog Contributors:
„Er versucht, die wahren Absichten zu vertuschen: Den Schutz und die Abgrenzung eines Clubs wahrer, zivilisierter, leistungsfähiger Europäer. Hier werden diskrete aber effiziente Grenzen gezogen - seien es politische, wirtschaftliche, gesetzgeberische oder verwaltungstechnische -, um dem angeblich schlechten Einfluss der Ostländer auf den Wohlstand der Westländer zu begegnen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bedeutet das Ende der aktuellen EU und eine Fragmentierung in mindestens zwei Kategorien von Staaten. Eine De-facto-Rückkehr zum Zustand von vor 2004, als die postkommunistischen Länder als Verbündete der EU gesehen wurden und noch nicht alle vollen politischen, institutionellen Beschlussrechte hatten.“
Valentin Naumescu
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VEČERNJI LIST (HR)

Neue eiserne Vorhänge sind zu befürchten

Das Wohl der Bürger muss nun bei der Richtungsentscheidung zur Zukunft der EU im Zentrum stehen, mahnt Večernji list:
„Sollte bei den Mitgliedstaaten die Meinung überwiegen, dass Grenzen wieder geschlossen werden müssen, würde dies das Ende von Schengen bedeuten, das Ende der Reisefreiheit, die eines der europäischen Grundrechte ist. Wir sollten nicht vergessen, dass es die kommunistischen Systeme waren, die um jeden Preis die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken wollten. ... Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten würde zu unterschiedlichen Rechten der Bürger führen. Vor den 27 Mitgliedstaaten stehen fünf Szenarien. Der Grundgedanke bei der Frage, welches das richtige ist, muss das Schicksal der Bürger sein. Mehr als 500 Millionen Europäer müssen alle die gleichen Rechte haben. Alles andere sind politische Ränkespiele und führen nur zur Errichtung neuer eiserner Vorhänge.“
Silvije Tomašević
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