Donnerstag, 5. April 2012

Wie richtig liegt Günter Grass?

Grass hat ein politisches Gedicht geschrieben, das Christoph Sydow darauf prüft, ob die darin angenommenen Voraussetzungen (er nennt sie "Thesen") auch wirklich zutreffen. Er tut es unter dem Titel "So falsch liegt Günter Grass". Nach seiner Darstellung sind von den 8 Annahmen von Grass 6 mehr oder minder korrekt.
Es bleiben also noch zwei Thesen übrig.
Zur ersten: Den Satz "das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig" deutet Sydow als These "Wer diese Sachverhalte benennt, gerät unter Antisemitismusverdacht." Grass unterstellt freilich nicht, dass jeder, der so etwas sagt, also etwa auch regimekritische Israelis, unter Antisemitismusverdacht geriete, sondern nur, dass bei Angriffen auf die Politik des Staates Israel das Verdikt "Antisemitismus" nahe liegt. Die Reaktion auf sein Gedicht - hier kann man von self-fulfilling prophecy sprechen - bestätigt seine Behauptung.
Zur zweiten These: Ein Erstschlag könnte "das iranische Volk auslöschen".
Woher bezieht Sydow die Sicherheit, dass ein atomarer Erstschlag keinen Atomkrieg auslösen kann, in dem dann mehr Völker als nur das iranische ausgelöscht werden könnten?
Hat die Abschreckungsstrategie jahrzehntelang nur deshalb funktioniert, weil Militärs und Politikern gar nicht klar, war, dass ein atomarer Erstschlag gar keinen allgemeinen Atomkrieg auslösen kann?

Anscheinend liegt Grass also gar nicht so falsch, sondern ganz erheblich weniger.

Meine Kritik an Grass' Gedicht ist eine ganz andere:
Er schreibt in einem Gedicht etwas, was in anderer Form schon öfter gesagt wurde, und nennt dann dies Gedicht "Was gesagt werden muss". Es wäre präziser gewesen, wenn er es etwa wie folgt betitelt hätte:
"Was endlich auch der Nobelpreisträger Günter Grass in ein Gedicht schreiben muss, damit es weltweit wahrgenommen wird".
Ich unterstelle ihm, er tat es aus Bescheidenheit nicht.
Oder liege ich damit etwa falsch?

Wenn einen Sydows Vorstellungen wenig interessieren: Hier gibt's noch etwas anderes zu Grass und zu Broder.
Die ARD hat ein 27-minütiges Interview mit Grass zu den von ihm im Gedicht angesprochenen Fragen gesendet, das hier nachzuhören und -sehen ist. Argumentativ scheint es mir weit weniger stimmig als das Gedicht, doch nutzt er die Gelegenheit des Medieninteresses, um weitere Fragen anzusprechen, die ihm auf dem Herzen liegen.
Die Hauptpunkte, die er nennt, sind folgende:
Netanjahu droht mit einem Angriff auf den Iran.
Israel ist eine Atommacht.
Die Bundesrepublik liefert ihr ein 6. U-boot, obwohl an sich ein Verbot, Waffen in Krisengebiete zu liefern, besteht.
Die Siedlungspolitik Israels ist geeignet, die Spannungen im Nahen Osten zu vermehren.

Diese Punkte halte ich durchweg für eine zutreffende Beschreibung der Situation. Aus deutscher Sicht besteht vor allem bei der Abstellung des Rüstungsexportes in Krisengebiete Handlungsbedarf.
Dieser Punkt geht in der allgemenen Aufregung leider unter.

Nachtrag vom 3.6.12:
Meldung von Spiegel online: Von Deutschland nach Israel gelieferte U-boote wurden mit Atomwaffen bestückt.

1 Kommentar:

Walter Böhme hat gesagt…

Gesells Slogan "Frei Land, frei Geld" wurde zwar zu Unrecht von den Nazis zu ihrem Unwort vom "raffenden Kapital" verballhornt.
Dennoch halte ich es mehr mit A. H. Fried (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Hermann_Fried) und Erich Fried (http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Fried): "Die Bösen werden geschlachtet, die Welt wird gut." (http://apaged.wordpress.com/tag/fried/)