Samstag, 1. Juli 2023

Freiheit darf nicht mit der Unfreiheit anderer erkauft werden

Das gilt für die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art.3 GG), für die Bewahrung eines erträglichen Klimas für kommende Generationen (BVG-Urteil) und für das Recht auf Asyl.

Historisch gesehen beruhten die antike Demokratien auf der Produktivität des versklavten Bevölkerungsanteils, die Freiheit der nordamerikanischen Kolonisten auf der Verdrängung der indigenen Bevölkerung und auf dem weltweiten Sklavenhandel.

Die Erklärung der "allgemeinen" Menschenrechte in den USA und in der Französischen Revolution schloss die Schwarzen aus und beinhaltete noch nicht die Gleichberechtigung der Frauen.

Der heutige Wohlstand in den industrialisierten Staaten beruht auf übermäßiger Ausbeutung fossiler Energien und Rohstoffe sowie der Bevölkerungen der meisten Staaten im globalen Süden.

Rosa Luxemburgs Wort "Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden." hat  das für die Meinungsfreiheit klassisch formuliert. (Shitstorms erkennen das aus naheliegenden Gründen oft nicht an.)

Stephan Lessenich vom Frankfurter Institut für Sozialforschung hat darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft, in der wir leben, die Forderung allseitiger Freiheit nicht erfüllt:

"Wir leben in einer Gesellschaft, deren Freiheiten davon abhängig sind, anderen Unfreiheit zuzumuten." (FR 1./2.7.2023)

Der neue europäische "Asylkompromiss" macht das wieder einmal deutlich. (Das britische Berufungsgericht hat das für das Ruanda-Deal deutlich herausgestellt.)

In vollem Umfang dürfte selbst Hegel seinen Satz "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit."  nicht verstanden haben, weil er den Klimawandel nicht voraussah.

Im Mittelalter war aufgrund der Gesellschaftsstruktur klar, dass jede Forderung nach Freiheit die Forderung eines Vorrechtes war. Dass sie heute in industrialisierten Ländern ein Vorrecht gegenüber dem globalen Süden und den kommenden Generationen bedeutet, dringt erst langsam in das Bewusstsein der Gesellschaften mit übermäßigen CO2-Emissionen.

Um das Asylrecht des Grundgesetzes aufrecht zu erhalten, wird gegenwärtig parteiübergreifend diskutiert, dass Deutschland Verträge mit anderen Staaten schließen solle, die ihrerseits die Verpflichtung übernehmen, in ihrem Land das Asylrecht zu gewährleisten. Dann könne man beruhigt Flüchtlinge in solch einen "sicheren Drittstaat" abschieben.

Großbritannien hat bereits einen solchen Vertrag mit Ruanda abgeschlossen. Deutschland hat(te) solch einen Vertrag mit der Türkei, der Erdogan die Möglichkeit bietet, damit zu drohen, ihn aufzukündigen.

Für das Vorrecht, das (durch Artikel 16a GG eingeschränkte) Asylrecht zumindest nominell einhalten zu können, zahlt(e) Deutschland der Türkei Unterstützungsgelder.

Mehr dazu: "Das Grundrecht des Stärkeren?", ZEIT 26.7.2023 

Für deutsche Staatsbürger gilt das über diese Art von Asylrecht hinausgehende Verbot der Auslieferung (Art.16 GG). Das Menschenrecht auf Asyl ist durch das Grundgesetz also seit den 90er Jahren eingeschränkt. In vollem Maße gilt es also nur für deutsche Staatsbürger.

vgl. auch: Eva von Redecker: Revolution für das Leben:

"Die Verwirklichung des nationalstaatlichen Prinzips in ganz Europa hatte nur eine weitere Diskreditierung des Nationalstaates zur Folge; es konnte nur einem Bruchteil der betroffenen Völker nationale Souveränität geben und zwang diese, da ihre Souveränität überall gegen die enttäuschten Aspirationen anderer nationaler Gruppen durchgesetzt war, von vornherein in die Rolle des Unterdrückers. Die unterdrückten Gruppen wiederum wurden gerade durch diese Regelung in ihrer Überzeugung bestärkt, dass Freiheit ohne nationales Selbstbestimmungsrecht und volle Souveränität nicht möglich sein und fühlten sich daher [...] um das, was sie für Menschenrechte hielten, betrogen. Und für dieses Gefühl konnten sie sich auf nichts Geringeres als die französische Revolution berufen, welche die Tradition des Nationalstaates eigentlich begründet hat. [...]

Hannah Arendt leitet vom Problem der nationalen Minderheiten über zu dem der Staatenlosen [...]. Sie hält die Staatenlosigkeit für ein fatales Produkt der Nationalstaatlichkeit und demonstriert daran ihre berühmt gewordene These eines 'Paradox der Menschenrechte'. 
Dieses Paradox besteht darin, dass uns Menschenrechte qua Menschsein zustehen, faktisch aber nur von Staaten sichergestellt werden können. Das führt dazu, dass ausgerechnet diejenigen, die Menschenrechte am nötigsten bräuchten – Staatenlose – am schlechtesten geschützt sind. Arendt ist der Meinung, dass nur ein 'Recht auf Rechte' diesem Missstand abhelfen könnte" (S. 170/171)

Keine Kommentare: