Dienstag, 10. Januar 2023

euro|topics: Parlament-Stürmung in Brasilien: Gefahr gebannt?

 

Nach der Erstürmung des brasilianischen Parlaments, des Obersten Gerichtshofs und des Präsidentenpalasts durch Anhänger des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro haben die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Rund 1.500 mutmaßliche Täter wurden festgenommen. Präsident Lula da Silva kündigte die Aufarbeitung der Vorfälle an. Europas Presse bleibt jedoch alarmiert.

PÚBLICO (PT)

Bolsonaro trägt die Schuld

Die Verantwortung des Ex-Präsidenten betont Público:

„Jair Bolsonaro hat vier Jahre Hass und Lügen als Staatspolitik betrieben und ein Land hinterlassen, in dem Tausende von Menschen Fake-News für Realität halten, Realität für eine Meinung und Meinung für eine hohe Mauer, hinter der der Feind lebt. ... Bolsonaro hat, wie Donald Trump in den USA, einen Teil der brasilianischen Bevölkerung mit aufrührerischen Worten aufgehetzt, die populistischen Funken auf die trockene Weide der Leichtgläubigkeit losgelassen und sich in die USA in den Urlaub begeben, um ein Alibi zu haben, wenn die Straße explodiert. Und das ist jetzt geschehen.“

António Rodrigues
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LE MONDE (FR)

Der Schlüssel liegt in der Umverteilung

Die größte Herausforderung Lulas besteht in der Überwindung der Ungleichheit, urteilen die Historiker Olivier Compagnon und Anaïs Fléchet in Le Monde:

„Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, wie sehr die brasilianische Gesellschaft von Ungleichheit geprägt ist und wie die extreme Diversität der sozioökonomischen Bedingungen automatisch die Idee eines gemeinsamen und durch die Regeln der Demokratie bestimmten Schicksals infrage stellt. ... Lulas größte Herausforderung besteht darin, die Idee einer gerechteren Verteilung des Wohlstands im Dienste eines erneuerten demokratischen Pakts wiederherzustellen. Es ist jedoch nicht sicher, ob die derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen ihm die Möglichkeit dazu geben.“

Olivier CompagnonAnaïs Fléchet
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PÚBLICO (ES)

Genau wie die alten Faschisten des Estado Novo

Die Aufrührer von heute sind alte Bekannte, bemerkt Público:

„Seit dem Staatsstreich von Getúlio Vargas und der Errichtung des Estado Novo 1937 erlitt Brasilien immer wieder Staatsstreiche. Dieses große südamerikanische Land war ein Laboratorium für die makabersten Experimente der antikommunistischen Tyrannei. ... Weiße Männer bildeten den Großteil der Horde, die am Sonntag bei einem Putschversuch gegen Lula da Silva die Sitze der drei Staatsorgane in Brasília einnahm. Es gab kaum Frauen oder Schwarze, obwohl die Hälfte der Bevölkerung Brasiliens nichtweiß ist. Es sind dieselben wie immer: weiße Männer, die ihre Macht nicht verlieren wollen. Ihre Slogans lauten 'Vaterland, Familie, Gott und Freiheit', genau wie bei den alten Faschisten. Dies ist die Geschichte Brasiliens und Lateinamerikas.“

Esther Rebollo
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TAZ, DIE TAGESZEITUNG (DE)

Erfolgreich abgewehrt

Für die taz gibt es auch eine gute Seite der Ereignisse:

„Die Eindringlinge konnten sich nicht durchsetzen. Brasiliens Demokratie erwies sich als wehrhaft. Zwar ließen viele Sicherheitskräfte den Bolsonaro-Mob passieren, doch der Putschversuch scheiterte. Die Stimmung im Land: Diese Angriffe gehören verurteilt. Jetzt müssen die An­grei­fe­r*in­nen gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Wenn man eine Wiederholung der Gewaltakte verhindern will, darf es keinen Zweifel daran geben, dass in der brasilianischen Gesellschaft kein Platz für Verschwörungstheorien und Putschgebaren ist.“

Niklas Franzen
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DE MORGEN (BE)

Auch unsere Demokratien sind verletzlich

Der Sturm aufs Parlament in Brasilien muss ein Weckruf sein, mahnt De Morgen:

„Demokratie ist niemals ein gegebener Zustand, sondern ein Tätigkeitswort. Daher sollten unsere Regierungen, Volksvertreter und Justiz bereits jetzt einen Stresstest durchführen: Könnte eine solche Meuterei auch hier geschehen? Lautet die Antwort 'nein', könnte das beweisen, dass unsere Institutionen stark genug sind und von Menschen geleitet werden, die das Gute wollen für die Bürger, die ihrerseits den drei Gewalten im Staat vertrauen. Andererseits ergeben Umfragen, dass es eine parteipolitische Polarisierung und sinkendes Vertrauen der Bürger in den Staat gibt. Also könnte die Antwort auch 'ja' sein.“

Maarten Rabaey
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AFTONBLADET (SE)

Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen

Zu höchster Wachsamkeit ruft Aftonbladet auf:

„Ist dies die neue Normalität? Der Putschversuch fand fast genau zwei Jahre nach dem versuchten Staatsstreich beim Sturm auf den US-Kongress statt, und nur einen Monat nach dem bisher größten Anti-Terror-Einsatz in Deutschland, bei dem es ebenfalls darum ging, einen rechtsextremen Umsturzversuch abzuwenden. Und weltweit gibt es Berichte über Rückschritte der Demokratie. Man braucht schon Scheuklappen, um da kein Muster zu erkennen. ... Wie sich [die Lage in Brasilien] weiterentwickeln wird, ist unklar. Klar ist allerdings: So etwas wird wieder geschehen - die Frage ist nur, wann, wo und auf welche Weise. Ob es aber zur Normalität wird, das entscheiden wir.“

Fanny Jönsson
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