"DAS ENDE IST NAH! – was war das für ein Fanfarenstoß, so richtig mit dem Hammer philosophiert und in die Magengrube fahrend. Aus christlicher Vorzeit hatte sich der Mahnruf bis ins 20. Jahrhundert geschlichen, aber leider, leider, heute mag ihn keiner mehr in seiner ganzen herben Wucht benutzen: zu dramatisch und irgendwie exaltiert. Nicht einmal die "Letzte Generation" traut sich, die vier Wörtchen laut auszusprechen, in Wirklichkeit glaubt sie ja daran, dass die Alten noch einmal alles wiedergutmachen.
Wir sterben entweder im Krieg oder erleiden den Klimatod, und selbst wenn nicht, dämmert keine tolle neue Epoche herauf, kein Sieg einer besseren Idee, kein Übermensch, kein Messias. Falls unsere zivilisierte, demokratische Zeit tatsächlich endet, müssen wahrscheinlich nicht alle sterben, aber was übrig bleibt, wird kaum wert sein, noch von der Geschichtsschreibung notiert zu werden. Keine Fanfaren, kein Weltgericht, es wird bloß Schluss sein. [...]
Die Natur der Naturwissenschaften ist ein System des Sich-Erhaltens aus eigener Kraft, und wenn das Kulturelle sich ebenfalls als ein Teil dieses natürlichen Systems begreift, wenn es auch ihm vornehmlich um Selbsterhaltung geht, hinsichtlich seiner Moralität, seiner Erwartungen, Sehnsüchte und so fort, dann muss – naturgemäß – alles als eine Katastrophe erscheinen, was den Selbsterhalt auch nur bedrohen könnte. Dann ist egal, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das zivilisatorische Ende tatsächlich ist. Im Kopf ist es längst eingetreten.
Die Leute begreifen sich dann nicht als endliche Wesen, sondern sie beklagen, dass sie und ihr Werk nicht ewig währen. [...]"
"Plappern über den Untergang" von Thomas E. Schmidt, Die ZEIT 19.1.2023, S. 48)
Dass alle biologischen Arten nur eine begrenzte Nische in der Ökologie haben, baut Schmidt auf zu einem metaphysischen Schrecknis. Dass vor dem physischen Ende der Art ein Ende der Zivilisation kommt, ist naheliegend, wenn auch nicht belegbar. Das Fermi-Paradox und den großen Filter hatte ich beim Lesen nicht parat. Aber beide legen sich nahe, wenn man in kosmischen Dimensionen über die Welt nachdenkt. Angesichts mehrerer Milliarden Jahre ist klar, dass zwei, drei Millionen Jahre Entwicklung einer Zivilisation und eine Bruchzahl von kleiner als 100 für die Zeit ihres Untergangs für Entstehung und Untergang einer ungeheuren Menge von Zivilisationen reichen. Als Nicht-Mathematiker habe ich mir freilich nie Gedanken darüber gemacht, wie viele es sein müssen, bis es zu einem Paradoxon reicht. So las ich über das Fermi-Paradox als über eine astronomisch-mathematische Überlegung, ohne mir wie die NASA Gedanken darüber zu machen, wie es aufzulösen sei. Zugegeben, dass zwar Amöben vermutlich kein Interesse am Überleben der Menschheit haben, es aber für Menschen ethisch geboten sei, war mir mal ein neuer Gedanke, aber wenn man einmal einen Standpunkt von außerhalb der Menschheit annimmt, dann legt er sich nahe.
Weshalb muss Schmidt die Ethik von Naturwissenschaftlern als irrational bezeichnen, weil die Vorstellung eines Endes der Menschheit schon bedeute, dass es "im Kopf [...] längst eingetreten" sei?
Wieso glaubt er den Klimaaktivisten apokalyptische Vorstellungen nachsagen zu müssen, wenn sie dazu aufrufen, alles Mögliche für ein weitere Dauer der menschlichen Zivilisation zu tun, nur weil sie in ein paar Millionen Jahren nach menschlichem Ermessen sowieso nicht mehr bestehen wird.
Ist es irrational, Menschenleben retten zu wollen, nur weil alle Menschen sterblich sind?
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