Montag, 7. September 2020

euro|topics: Corona: Wie umgehen mit Kritik und Protest?


Die Berliner Corona-Demonstration mit Zehntausenden Teilnehmern Ende August hat europaweit viel Beachtung erfahren. Nun sind eine Woche später auch in Rom und Zagreb Tausende Menschen gegen die Pandemie-Maßnahmen auf die Straße gegangen. Kommentatoren versuchen zu ergründen, woher der Frust und das Unverständnis der Protestierenden rühren und wie man ihnen begegnen sollte.

THE DAILY TELEGRAPH (GB)

Wir werden wie Kinder behandelt

Der Kampf gegen das Virus gibt all jenen Auftrieb, die das Leben der Menschen bis ins kleinste Detail regeln wollen, klagt The Daily Telegraph:

„Das Virus hat eine außer Rand und Band geratene Kultur des Gesundheits- und Sicherheitszwangs noch weiter befeuert. Wir werden mehr denn je wie kleine Kinder behandelt. Dass uns die Regierung ständig darüber belehrt, wie ungezogen es sei, kalorienreiche Nahrung zu sich zu nehmen, war anstrengend genug. Doch im Zeitalter von Covid ist alles noch viel schlimmer, weil alle Aspekte unseres Lebens bis ins kleinste Detail geregelt werden. In der Tat ist die Covid-Ära das reinste Vergnügen für Bürokraten, Paragrafenreiter und all diejenigen, die es lieben, Gründe zu finden, warum dies und das unmöglich zugelassen werden dürfe - und falls doch, nur dann, wenn vorher 47 Formulare ausgefüllt werden.“

Zoe Strimpel
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JUTARNJI LIST (HR)

Gefährdung von Leben ist die rote Linie

Auch das Recht auf Meinungsfreiheit und Proteste hat Grenzen, erklärt Jutarnji list:

„Die meisten, die sich zum Zagreber 'Festival der Freiheit' versammelt haben, sind Verschwörungstheoretiker, überzeugt davon, Covid-19 sei ungefährlich oder eine Erfindung, damit Staat und Regierung Menschenrechte einschränken können. ... Auch den Menschen die Versammlungsfreiheit zuzugestehen, die bizarre Ideen fördern, ist Teil der Demokratie. Wenn jemand an Echsenmenschen glauben möchte, ist es sein gutes Recht - auch wenn es freilich unangenehm ist, wenn dieser jemand Ihr Arzt sein sollte. Doch muss eine klare Grenze gezogen werden, wenn Menschenleben in Gefahr sind. Diejenigen, die es ablehnen, während der Pandemie ein Minimum an Normen einzuhalten, um andere Menschen zu schützen, sind gefährlich und sollten sanktioniert werden.“

Robert Bajruši
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AVVENIRE (IT)

Bloß nicht Zuschauen und Abwarten!

Es braucht dringend eine adäquate Reaktion auf die Bewegung der Corona-Leugner und Maßnahmen-Kritiker, fordert Avvenire:

„Während die globale Partei des gesunden Menschenverstandes mit langsamen und widersprüchlichen Schritten einen Ausweg aus der Krise sucht, schlägt die riesige und heterogene internationale Koalition der Souveränisten entschlossen den gesellschaftlich gefährlichsten Weg ein: den des Leugnens. … Diese Entwicklung zu unterschätzen wäre ein gravierender Fehler, denn das globale 'No-Mask'-Netzwerk ist mächtig und gut strukturiert. Zur 'populistischen' Basis kommen Patrouillen offen neonazistischer Extremisten hinzu, die eine große Anziehungskraft auf junge Menschen ausüben. ... Eine rechtzeitige Antwort wäre entscheidend. Eine politische und sich dem Dialog stellende Antwort, und vor allem eine europäische.“

Marco Iasevoli
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KURIER (AT)

Schluss mit der Suche nach Schuldigen

Mehr Verständnis dafür, dass auch die obersten Entscheidungsträger Fehler machen können, wünscht sich der Kurier:

„Man ruft ... nach einer starken Führungspersönlichkeit, empört sich aber in der nächsten Sekunde über die autoritäre Freiheitsbeschränkung. Wagt ein Entscheidungsträger, seinen Entschluss aufgrund triftiger Einwände zu revidieren, wirft man ihm Zickzack-Kurs vor. ... Dass auch Regierungen, und zwar weltweit, von dieser Pandemie überrumpelt waren und nicht auf alles gleich eine schlüssige Antwort hatten (nicht einmal die Experten sind ja einig), ist schwer zu akzeptieren. Besonders für jene, die von der Krise besonders hart gebeutelt sind. Es erleichtert, wenn man seine ohnmächtige Wut auf jemanden projizieren kann. Die Kehrseite dieser ständigen Schuldigensuche ist die Angst vor Verantwortung. Sie verführt zum Weiterdelegieren.“

Martina Salomon
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LE TEMPS (CH)

Zweifel beleben die Demokratie

Die Corona-Krise verändert die Beziehung zwischen Regierung und Bürgern, beobachtet Le Temps:

„Die Auseinandersetzungen zwischen Fachleuten über das richtige Risikomanagement oder die Entwicklung der Ansteckungskurven, das Umschwenken der Meinung darüber, welche Rolle Kinder bei der Ausbreitung der Pandemie spielen und das Eingeständnis von Wissenslücken erzeugten bei den Bürgern zeitweise den Eindruck einer Kakophonie. ... Auch wenn sich die [schweizerischen] politischen Instanzen angesichts des generellen Vertrauensverlusts in die Eliten westlicher Gesellschaften bisher recht wacker geschlagen haben, scheint die Covid-19-Bekämpfung doch erste Kratzer zu hinterlassen. Zweifel sind dennoch heilsam. ... Zweifel sind kein Misstrauen, das anderen böswillige Absichten unterstellt, sondern ein rationaler Ansatz, der Ausdruck der Reflexionsfähigkeit der Bürger ist. Ein kartesianischer Akt. Ein Zeichen für die Vitalität der Demokratie.“

Yves Petignat
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