Das Brexit-Referendum, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten und steigende Umfragewerte für Rechtspopulisten in mehreren europäischen Ländern. Kommentatoren analysieren, warum 2016 ein Erfolgsjahr für Globalisierungsgegner und Nationalisten war.
BLOG DAVID MCWILLIAMS (IE)Aufstand der Ausgeschlossenen
2016 war das Jahr, in dem die Masse der politisch und wirtschaftlich Marginalisierten im Westen den Status Quo nicht länger hinnehmen wollte, analysiert Ökonom David McWilliams auf seinem Blog:
„Die Ausgeschlossenen sind jene, für die niemand das Wort ergreift. Sie sind am politischen Prozess nicht beteiligt und daher Außenstehende. Zu ihnen zählen die selbstständigen Kleinunternehmer, die Leiharbeiter, Zuwanderer, Arbeitslosen und natürlich die Jungen. Sie sind außerhalb des Kommandozelts, abgekoppelt von den Entscheidungsprozessen. Und weil sie nicht organisiert sind, können ihre Sorgen niemals nachempfunden werden. Diese Menschen können sich sowohl auf der linken als auch der rechten Seite des politischen Spektrums befinden. ... Das sind jene, die sich von Trump, dem Brexit oder von Movimento Cinque Stelle angesprochen fühlten. ... Sie sind nicht rassistisch, primitiv oder verblendet. Sie sind schlicht Außenstehende. 2016 war das Jahr, in dem sie sagten: 'Es reicht!'“
DE STANDAARD (BE) Kein Mittel gegen Gift der Populisten
Europas Rechtspopulisten können ungehindert ihr Gift verbreiten, warnt Kolumnist Paul Goossens in De Standaard mit Blick auf das vergangene Jahr:
„Ihr Abbruchprojekt hat Erfolg. Europa wankt, und bei jedem Konflikt zeigen sich neue Brüche und Risse. Der Rechtspopulismus bekommt einfach nicht genug Gegenwind. ... Uns wird eingebläut, dass wir als 'kulturelle Elite' jeden Anschein von Arroganz vermeiden müssen. ... Daher trauen wir uns nicht mehr zu sagen, dass die Rezepte der Rechtspopulisten sowohl blanker Unsinn als auch gefährlicher Irrsinn sind. Weil wir die 'Verlierer' nicht geringschätzen und Ressentiments nicht nähren wollen, unterlassen wir es, die Obsessionen ihrer Führer - etwa den souveränen Staat mit hermetisch geschlossenen Grenzen oder den totalen Migrationsstopp - als hoffnungslos dumm und aussichtslos wegzulachen und abzuservieren. Wie kann Europa - die einzige Alternative zum Egoismus der Nationen - bestehen bleiben, wenn niemand das nationalistische Revival bekämpft?“
SPIEGEL ONLINE (DE) Gute Wirtschaft, schlechte Stimmung
Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland ist Eurobarometer-Umfragen zufolge mit ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation zufrieden, dennoch pflegen viele eine negative Grundeinstellung, beobachtet Spiegel Online:
„[Es] grassiert latentes Unwohlsein. Die alte politische Faustformel 'gute Konjunktur = zufriedene Bürger' geht nicht mehr auf. Das ist neu. Es ist das eigentliche Thema des Jahres 2016, nicht nur in Deutschland: Ökonomische Lage und politische Stimmung driften auseinander - mit gravierenden Folgen. ... Populistische Politiker ... sprechen gerade ältere Wähler an, auch solche, denen es gut geht, und versprechen ein Ende des Wandels. ... Simpel fallen die politischen Problemlösungsvorschläge aus: Grenzen dichtmachen, internationalen Wettbewerb begrenzen, Renationalisierung der Politik - Maßnahmen, die nach aller Erfahrung den Lebensstandard bedrohen. Anstatt darüber nachzudenken, wie die Sozial-, Steuer- und Bildungssysteme verbessert werden können, wie die internationale Zusammenarbeit effektiver werden könnte und wie, nicht zuletzt, der Frieden erhalten bleibt.“
CORRIERE DEL TICINO (CH) Revolte gegen die wenigen Mächtigen
Den Beginn einer weltweiten Protestwelle wittert Corriere del Ticino:
„Das zu Ende gehende Jahr war gekennzeichnet von der Revolte der Mehrheit der Wähler einiger Länder gegen die Globalisierung und die herrschende liberale Wirtschaftspolitik. Eine Revolte, die vom Vereinigten Königreich ausging, mit dem Volksentscheid, in dem sich die Bürger für den Austritt aus der EU aussprachen. Eine Revolte, die zum Erfolg von Donald Trump in den USA führte und sich zweifelsohne im kommenden Jahr fortsetzen und die Voraussetzungen für einen radikalen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft des Westens schaffen wird. Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der die Macht ausübenden Gruppen (die Finanzwelt, multinationale Firmen und ein Großteil der Medien), die sich von dieser Wende bedroht fühlen, alle ihre Waffen einsetzen werden, um sie abzuwehren.“ (Alfonso Tuor)
L'OBS (FR) Die Ungleichheit ist unerträglich geworden
Die Wohlstandskluft hat ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreicht, mahnt L’Obs:
„Das Jahr 2016 hat wiederholt gezeigt, dass der Graben der Ungleichheit nicht mehr als Fügung des Schicksals hingenommen wird. Er ist ganz einfach unerträglich geworden. Es gibt heute keinen sozialen Bruch mehr, sondern sehr wohl einen gesellschaftlichen. Der Höhe der Vergütungen der einen steht das Ausmaß des Elends der anderen gegenüber, was den Glauben an eine Schicksalsgemeinschaft unmöglich macht. Die Mehrheit der Bürger ist dazu verdammt, als Anpassungsvariablen der liberalen Globalisierung herzuhalten, und fordert nun, geschützt zu werden. Man unterstehe sich, ihnen vorzuwerfen, dass sie sich abschotten, ist es für viele doch ein simpler Überlebensreflex!“ Matthieu Croissandeau
DIENAS BIZNESS (LV) Populismus ist nur ein Modewort
Warum das Wort Populismus derzeit allgegenwärtig ist, analysiert Dienas:
„Dabei werden in Westeuropa alle, die mit der herrschenden Position nicht einverstanden sind, gleich als Populisten geschmäht. Das ist einfach und gerade sehr in Mode. Viele Politiker lieben es, über die Gefahr des Populismus zu sprechen, auch wenn sie sich in dieser Hinsicht nicht die Hände in Unschuld waschen können. ... Populismus ist auch zum Wort der Abschreckung geworden, um die Opposition oder neue politische Kräfte an den Rand zu drängen. Das ist ein gefährliches Spiel, da der kleine Mann heute über die Machtpolitiker nichts Gutes denkt. ... Gut, dass die Siege von Populisten heute noch nicht das Ende der Welt bedeuten. Wir können uns bei der Demokratie bedanken sowie bei der Tatsache, dass die sogenannten Populisten keine totalen Psychopathen sind.“ Jānis Šķupelis
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