Der mutmaßliche Terroranschlag in Berlin heizt die Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik wieder an.
Politische Gegner im In- und Ausland machen Angela Merkel für die Bluttat verantwortlich. Die Art und Weise, wie die Bundeskanzlerin sich nun verhalten und auf populistische Hetze und Fremdenhass reagieren wird, ist nach Einschätzung von Kommentatoren für ganz Europa von Bedeutung.
PRAVDA (SK)
Kanzlerin vor einem sehr schweren Jahr
Der mutmaßliche Terrorangriff von Berlin und das dadurch erzeugte Gefühl der Unsicherheit machen es Merkel im Wahlkampf des kommenden Jahres nicht eben leichter, fürchtet Pravda:
„Merkel hat zwar bislang alle Angriffe aus dem rechten und linken Lager durchgestanden und ihre CDU stabilisieren können. Der Terror aber spielt der Alternative für Deutschland neue Wähler zu. Zum Thema des bevorstehenden Wahlkampfes werden denn auch nicht Wirtschaft und Finanzen, obwohl Deutschland da in blendender Verfassung ist. Es wird vor allem um die Themen Sicherheit und Migration gehen. Die AfD missbrauchte diese Themen gleich nach dem Anschlag in Berlin mit der Schuldzuweisung, die Toten seien 'Merkels Tote'. Das zeigt, welche Richtung der Wahlkampf nehmen wird. Nicht auszudenken, welches Ausmaß derlei annähme, wenn sich solche Terrorangriffe kurz vor der Wahl wiederholen sollten. Merkel steht vor einem sehr schweren Jahr.“ (Marián Repa) Teilen auf
zur Homepage
DE VOLKSKRANT (NL)
Hetzer sind Handlanger der Terroristen
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hat Bundeskanzlerin Merkel für die Bluttat in Berlin verantwortlich gemacht und eine Fotomontage getwittert, die sie mit blutbefleckten Händen zeigt. Kolumnist Bert Wagendorp verurteilt diese Reaktion in De Volkskrant:
„Emotionen sind die Waffen der Terroristen, Rationalität ist die Verteidigungslinie der westlichen Gesellschaft. Also denke ich, dass Merkel das Recht auf ihrer Seite hat. ... Emotionen nach Anschlägen sind verständlich, sind aber als Leitlinie für Entscheidungen ungeeignet. Das würde uns ins Lager derjenigen bringen, die die offene westliche Gesellschaft vernichten wollen. Hetzer und Händler in Angst sind die Handlanger von Terroristen. ... Wilders tut schon lange sein Bestes, um die offene, liberale Gesellschaft zu vergiften, den Verstand auf ein Abstellgleis zu manövrieren und das Volk mit inhaltsloser und lügnerischer Prahlerei zu blenden. Und mit Lösungen, die keine Lösungen sind, sondern kranke Illusionen, die - wenn sie realisierbar wären - zu Katastrophen führen würden.“ (Bert Wagendorp)
CORRIERE DELLA SERA (IT)
Politiker wie Merkel sind IS ein Dorn im Auge
Die Terroristen der IS-Miliz betreiben Wahlkampf für rechtsextreme Kräfte in Europa, warnt Corriere della Sera:
"Diese neue Attacke könnte nicht nur oder in erster Linie gegen das 'christliche Weihnachtsfest' gerichtet sein. ... Sie könnte auch auf die Freiheit der Wahlentscheidung an den Urnen verschiedener europäischer Nationen abzielen, und sich somit als Akt einer infamen 'Wahlkampagne' der Anhänger des Kalifats herausstellen. … Denn die wahre Absicht der Dschihadisten ist nicht, ein paar Tausend Islamisten zu radikalisieren, sondern uns, Millionen von Europäern. Welchen Feind wünscht sich derjenige, der sein Volk im Namen Allahs in den Heiligen Krieg führt? Rationale Regierungschefs wie Merkel, die bereit sind, diejenigen, die ein Recht darauf haben, aufzunehmen und darauf bedacht sind, besonnen zu handeln? Oder Führungskräfte wie Le Pen oder Frauke Petry, die die Welle der Panik reiten und Reaktionen versprechen, die so wahllos und willkürlich sind, dass sie Europas muslimische Gemeinden bis an den Punkt der totalen Konfrontation treiben?“ (Goffredo Buccini)
EL PAÍS (ES)
Deutschland ist unsere letzte Hoffnung
Auf die Resistenz der Deutschen gegen populistischen Fremdenhass setzt der britische Historiker Timothy Garton Ash in El País:
„Welche Gründe sollten uns glauben lassen, dass Deutschland resistenter gegen die Krankheit sein wird, die Blasen wie Donald Trump, Marine Le Pen und Geert Wilders hervorbringt? Mehrere. Deutschland ist eine der wenigen westlichen Demokratien mit einer gesunden Wirtschaft. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir ein Deutscher gesagt hat: 'Wir sind ein reiches Land und wir können es uns leisten, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen.' Das können nicht viele Nationen von sich behaupten. Zudem ist im Gegensatz zu Großbritannien die Boulevardpresse in Deutschland relativ verantwortungsbewusst. ... Und dann vermutlich der wichtigste Grund: Adolf Hitler. Eben weil Deutschland in der Vergangenheit der teuflische Schauplatz eines populistischen Fremdenhasses war, ist es heute die dagegen wohl bestgeimpfte Nation. Wollen wir darauf vertrauen, dass dieses Tabu weiter gilt. Sonst kann uns nur noch Gott helfen.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen