Dienstag, 17. August 2021

euro|topics: Flucht aus Kabul: Die Macht der Verzweiflung - Biden verteidigt Truppenabzug aus Afghanistan

 

Am Flughafen Kabul versuchen Tausende, irgendwie in Flugzeuge hineinzugelangen. Videos zeigen, wie Menschen neben startenden Maschinen entlanglaufen und sich teils sogar an diesen festklammern. Evakuierungsflüge westlicher Staaten mussten zwischendurch ausgesetzt werden, mehrere Menschen starben. Journalisten erkennen blanke Verzweiflung und glauben, dass die Fluchtbewegung aus Afghanistan bald Europa erreicht.

CORRIERE DELLA SERA (IT)

Wenn die letzte Hoffnung erlischt

An die Menschen, die sich am 11. September aus den brennenden Twin Towers stürzten, erinnert sich Corriere della Sera:

„Es verstößt gegen die erste im genetischen Code verankerte Regel: das Leben um jeden Preis zu erhalten. ... Doch der Mensch hat einen Punkt erreicht, der jenseits der Grenzen unserer Genetik liegt, einen Punkt, an dem alle Überlegungen und Wahrscheinlichkeiten ihren Wert verlieren. Die Geister der Gegenwart, die ihn überwältigen, haben die Oberhand. Und so stürzt man sich von einem Wolkenkratzer, wohl wissend, dass kein Engel einen auffangen wird. Oder man klammert sich an das Fahrgestell eines startenden Flugzeugs, wohl wissend, dass die Hände der Wucht der Luft nicht standhalten und sie einen zwingen wird, loszulassen, wie ein Stein zu fallen und am Boden zu zerschellen.“

Carlo Verdelli
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HÜRRIYET (TR)

Für Frauen gibt es kein Entkommen

Darauf, dass am Flughafen Kabul und unter geflohenen Afghanen in anderen Ländern kaum Frauen zu sehen sind, lenkt Hürriyet das Augenmerk:

„Afghanistan ist unter den gegebenen Umständen eine geschlossene Gesellschaft. ... Frauen gehen nicht einfach auf die Straße. Es gibt keine gesellschaftliche Atmosphäre, die es Frauen erlauben würde, sich als Flüchtlinge auf den Weg zu machen oder sich in das Chaos am Flughafen zu begeben. Afghanistan ist diesbezüglich nicht wie Syrien. Die Lage der Frauen ist deshalb sehr tragisch. Sie befinden sich in einem Kerker, aus dem sie nicht einmal versuchen können zu entkommen.“

Ahmet Hakan
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ETHNOS (GR)

Besser vorbereitet sein als bei Syrien

Europa muss jetzt planen, wie es mit einer neuen Fluchtbewegung umgeht, mahnt Ethnos:

„Es wird sicherlich einen großen Zustrom von Flüchtlingen aus Afghanistan geben. Vor allem, wenn sich die Situation zu einem Bürgerkrieg entwickelt. Einige Beobachter sagen, dass der Zustrom vom Ausmaß her an den aus Syrien heranreichen könnte. Als erste Länder werden der Iran und die Türkei betroffen sein. Schwillt der Zustrom an, wird auch Europa einschließlich Griechenland betroffen sein. ... Dieses humanitäre Problem muss sensibel und planvoll angegangen werden. Die von der Türkei gebaute Mauer an der Grenze zum Iran reicht nicht aus, um sich dem Problem zu stellen. Die Europäische Union darf sich nicht überraschen lassen, wie es bei Syrien der Fall war. “

Theodoros Tsikas
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BIRGÜN (TR)

Erdoğan sitzt erneut am Hebel

Dass der türkische Präsident Erdoğan die einsetzende Flüchtlingswelle erneut als Druckmittel nutzen könnte, befürchtet Birgün:

„Pakistan, Indien und Iran und dann auch die Türkei werden betroffen sein. Auch wenn die USA und ihre Alliierten für lokales Personal und deren Familien Aufenthalte in den USA, Kanada und Großbritannien organisieren, muss man in einer Übergangsphase mit Flüchtlingsströmen in die Türkei rechnen. Erdoğan könnte auch versuchen, die Flüchtlinge in Verhandlungen mit Washington als Trumpf auf dem Tisch zu belassen.“

Hayri Kozanoğlu
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Flucht aus Kabul: Die Macht der Verzweiflung
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Biden verteidigt Truppenabzug aus Afghanistan

In den USA wird die Kritik an Joe Biden nach den Ereignissen in Kabul immer lauter. Republikaner, aber auch vereinzelte Demokraten, werfen ihm ein unkoordiniertes Vorgehen vor. Der Abzug an sich wird aber selten infrage gestellt, was auch den Meinungsumfragen unter US-Bürgern entspricht. Werden die Bilder vom Kabuler Flughafen dem US-Präsidenten dauerhaft schaden?

ECHO MOSKWY (RU)

Nur ein kleiner Imageschaden

Der in den USA und Russland tätige Ökonom Konstantin Sonin glaubt in Echo Moskwy nicht, dass das Afghanistan-Debakel nun Bidens Wahlchancen schmälert:

„Außenpolitik beeinflusst das Wahlverhalten in den USA wenig. Der Tod hunderter US-Marines im Libanon 1983 störte Reagans triumphale Wiederwahl nicht, Clinton wurde nach der gescheiterten Operation in Somalia wiedergewählt - und Bush jr., nachdem der Irak-Krieg unpopulär geworden war. Einzig das Image Bidens als ein für Schmerz und Leid empfindlicher Mensch wird verwischt.“

Konstantin Sonin
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LA REPUBBLICA (IT)

Lame duck im Weißen Haus

Biden wird seine Entscheidung teuer zu stehen kommen, wettert hingegen La Repubblica:

„Die Verantwortung für dieses Desaster trägt letztlich der Oberbefehlshaber, Präsident Joe Biden. … Er riskiert, für den Rest seiner Amtszeit eine 'lahme Ente' zu sein, auf Grund einer Entscheidung, die er im Alleingang getroffen und hartnäckig verteidigt hat, selbst als sich herausstellte, dass sie unüberlegt und unvorbereitet war.“

Paolo Garimberti
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EL PAÍS (ES)

Unter den Demütigungen ganz vorne dabei

Auch El País glaubt, dass Biden in diesen Tagen viele Federn gelassen hat:

„Die Bilder von Hunderten von Menschen, die die Landebahn des Flughafens von Kabul stürmen, während Militärflugzeuge versuchen, das Land zu verlassen, werden das US-Militär noch lange verfolgen und einen Großteil der Präsidentschaft von Joe Biden prägen. Es sind Szenen der Verzweiflung, Momente, die die Welt nicht vergessen wird. Die chaotische Flucht aus Kabul in diesen Tagen hat nun ihren eigenen Platz in der Geschichte der militärischen Demütigung der USA.“

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