Freitag, 23. Oktober 2020

euro|topics: Papst geht auf Homosexuelle zu: eine echte Wende?


Im neuen Porträtfilm Francesco spricht sich der Papst dafür aus, gleichgeschlechtlichen Paaren gesetzlich anerkannte Partnerschaften zu ermöglichen: Sie hätten "das Recht, in einer Familie zu leben". Die katholische Kirche wertet homosexuelle Handlungen bisher als "moralische Unordnung" im Widerspruch zur gottgeschaffenen Natur. Nicht alle Beobachter sehen Franziskus' Worte als Abweichung von diesem Kurs.

DIE PRESSE (AT)

In großen Teilen der Welt eine Sensation

In den Augen der westlichen Gesellschaften mögen Franziskus' Aussagen zwar wenig elektrisieren, schreibt Die Presse:

„Aber schon in Osteuropa oder erst recht auf anderen Kontinenten – immerhin droht Homosexuellen in 15 Staaten die Todesstrafe – sind die Aussagen des Oberhaupts der Katholiken eine Sensation. ... Als Chef der Glaubenskongregation hat [Benedikt XVI.] 2003 in einem Schreiben vor einer rechtlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften im Gegensatz dazu ausdrücklich gewarnt. Dadurch würde ein 'abwegiges Verhalten' legitimiert. ... Ein weiter Weg von Benedikt zu Franziskus. ... Auch wenn Papst Franziskus am Sakrament der Ehe, das einander ausschließlich Frau und Mann spenden können, festhält, muss für Konservative die Aussage wie eine Provokation wirken.“

Dietmar Neuwirth
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GAZETA WYBORCZA (PL)

Auch symbolische Handlungen sind wichtig

Das Signal des Papstes an LGBTQ-Personen kann beispielweise in Polen durchaus Konkretes bewirken, zeigt sich der Journalist Ignacy Dudkiewicz in Gazeta Wyborcza überzeugt:

„Es ist nicht so, als würden die Aussagen des Papstes allein keine Rolle spielen. Sie sind ein Argument gegen die Teilnahme kirchlicher Hierarchen an der Kampagne gegen LGBTQ-Personen und ein Zeichen für Katholiken und LGBTQ-Katholiken: Sie sind in der Kirche willkommen, auch mit ihren Familien, einschließlich der Kinder (so soll das aus dem Film hervorgehen). Ich kenne LGBTQ-Personen, die gestern von den Worten des Papstes wirklich bewegt waren. Enzykliken, Katechismus und Adhortationen sind wichtig, aber Franziskus lehrt und verändert die Kirche auch gerne auf andere Weise. “

Ignacy Dudkiewicz
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REPUBLICA.RO (RO)

Botschaft wird Konservative nicht erreichen

Der Geschichtslehrer Marcel Bartic zeigt sich auf republica.ro erfreut über die Äußerung des Papstes, befürchtet aber, dass ihr viel Unverständnis entgegenschlagen wird:

„Das ist eine starke Aussage. Eine entschlossene Aussage. Sie holt den Katholizismus unter dem Schirm der Angst und historischen Vorurteile über die LGBT-Gemeinschaft hervor. Doch mache ich mir keine Illusionen, dass die katholischen oder orthodoxen Taliban die Bedeutung der Papst-Geste verstehen könnten. In unserem Land jedenfalls würde man, wenn Jesus Christus auf einem Lichtstrahl in die U-Bahn herabsteigen und umringt von Engeln und Erzengeln dasselbe sagen würde, mit Sicherheit jemanden hysterisch erwidern hören: 'Mensch, wieviel Geld hast Du genommen, so etwas zu sagen?'“

Marcel Bartic
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JUTARNJI LIST (HR)

Katholische Homo-Ehe bleibt in weiter Ferne

Als allzu progressiv sollte die Haltung des Papstes nicht interpretiert werden, findet Jutarnji list:

„Er stoppt beim rechtlichen Schutz. Er spricht nicht von religiöser Anerkennung und noch weniger von der Ehe. ... Franziskus sagte seinerzeit klar und unmissverständlich, er sei im Hinblick auf die Religionslehre ein 'treuer Sohn der katholischen Kirche'. Damit betonte er, was zumindest religiös gebildeten Katholiken a priori klar war: dass der Papst die Kirchenlehre nicht ändern wird. Es bleibt vorerst undenkbar, dass ein Papst einer gleichgeschlechtlichen Ehe zustimmt, oder dass Frauen zu Priestern geweiht werden. ... Eine homosexuelle Ehe mit Sakramenten ist eine Halluzination, ja eine Phantasie.“

Inoslav Bešker
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LA CROIX (FR)

Franziskus geht es um Schutz und Respekt

Das Oberhaupt des Vatikans erweitert die Perspektive der Kirche, betont La Croix:

„In vielen Teilen der Welt befinden sich die betroffenen Personen weiterhin in rechtlich unsicherer Lage. Und weil dem Papst die Unsicherheit ihrer Lage bewusst geworden ist, spricht er sich für eine zivile Lebenspartnerschaft aus. Zu wünschen, dass das Recht homosexuelle Paare besser schützt, heißt jedoch nicht, ihre Lebensentscheidung gutzuheißen. Bei diesem Thema bricht Franziskus also nicht mit dem Diskurs der Kirche, sondern erweitert ihn, indem er in rechtlicher Hinsicht die Konsequenzen aus einer Lehre zieht, die zu Aufnahme und Respekt jedes Menschen aufruft, ungeachtet seiner sexuellen Orientierung.“

Dominique Greiner
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