Ich habe ja auch etwas für Skandalisierung. Wenn ein Politiker aus einer Partei, die mir auf die Nerven geht, gegenüber einer Journalistin eine anzügliche Bemerkung macht, gönne ich es ihm, wenn unter dem hashtag #aufschrei Zehntausende von Frauen ihren Unmut über den noch immer herrschenden alltäglichen Sexismus äußern und er tagelang im Gespräch ist. Ich habe auch kein schlechtes Gewissen dabei, zumal er es beeindruckend unbeeindruckt wegsteckt und sich sogar zum Spitzenkandidat seiner Partei benennen lässt (vermutlich, weil er bewiesen hat, wie unbeschädigt er aus Fettnäpfchen herauszusteigen in der Lage ist).
Für problematisch halte ich es freilich, wenn in- und ausländische Geheimdienste systematisch Grundrechte verletzen und der Skandal darüber kaum langlebiger ist als der wegen eines unverschämt luxuriösen Bischofsitzes.
Wir haben keine Lösung für die Lagerung von Atommüll, der Millionen von Jahren strahlen wird und produzieren fortlaufend neuen. Schon unsere Kinder werden in einer Welt leben, in der weltweit der Lebensstandard sinken wird, weil der Schutz vor den Folgen der globalen Erwärmung sämtliche Produktivitätsfortschritte (und noch mehr!) auffressen wird. Doch davon ist fast nie die Rede, wohl aber ständig davon, dass ein katholischer Bischof angeblich nicht in der Lage ist, eine Urlaubsvertretung für eine Woche zu organisieren.
Auch ich habe kein Verständnis dafür, wenn für einen Bischofssitz das Geld ausgegeben wird, das seit Jahren für Gemeindehäuser, Kindergärten u.ä. fehlt.
Aber müssen wir wirklich ständig über fehlende Unterschriften in Limburg informiert werden, während weiterhin täglich Flüchtlinge ertrinken, über die wir nichts mehr hören, weil das Aufmerksamkeitskontingent für Flüchtlinge aufgebraucht ist?
Es täte uns gut, wenn eine Zeit lang Journalisten wieder orientiert an ihrer gesellschaftlichen Relevanz weitergäben statt orientiert am Skandalisierungsfaktor.
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