"[...] Es gibt jedoch zahlreiche Studien, die belegen, dass die Summe der Bundeszuschüsse konstant weit unter den tatsächlich erbrachten versicherungsfremden Leistungen liegt. 2023 lag die Differenz nach Angaben der Rentenversicherung beispielsweise bei rund 40 Mrd. Euro. [...]
Die zusätzliche Belastung der Sozialsysteme durch nicht aus Steuermitteln ausgeglichene versicherungsfremde Leistungen liegt lt. Studien bei rund neun Beitragspunkten – bei der paritätischen Finanzierung der Sozialsysteme könnten also sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Bruttolohnanteile von jeweils 4,5 Prozent einsparen, wenn die versicherungsfremden Leistungen ordnungsgemäß über die Steuern finanziert würden. Wir haben es hier also nicht mit einem Problem zu tun, das ursächlich etwas mit dem Umlagesystem der Altersrente zu tun hätte. Das Problem ist vielmehr, dass die Politik allerlei versicherungsfremde Leistungen mit in die Rente gepackt hat und sich gleichzeitig weigert, diese Leistungen auch voll zu bezahlen. Denn dafür müsste man dann ja entweder Steuern erhöhen oder Ausgaben an anderer Stelle kürzen.
Vollkommen falsch ist übrigens auch, dass der Steuerzuschuss – in welcher Form auch immer – immer teurer würde. Lag der Bundeszuschuss vor zwanzig Jahren noch bei 3,4 Prozent der Wirtschaftskraft, also des Bruttoinlandproduktes, liegt er aktuell bei nur 2,7 Prozent. Binnen zwanzig Jahren ist der Anteil also nicht etwa gestiegen, sondern in Relation zur Wirtschaftskraft um gute 20 Prozent gesunken. [...] Ganz ähnlich sehen die Zahlen aus, wenn man die Zuschüsse nicht an der Wirtschaftskraft, sondern am Volumen des Bundeshaushalts bemisst. Machten die Zuschüsse vor zwanzig Jahren noch 31 Prozent des gesamten Bundeshaushalts aus, so liegt deren Anteil heute bei nur noch 25 Prozent. Die „Delle“ im Haushaltsjahr 2021 ist übrigens ein Effekt der Coronamaßnahmen-Finanzierung und soll an dieser Stelle nicht interessieren. [...]
Die Kosten für den Steuerzuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen nicht und explodieren schon gar nicht – ganz im Gegenteil sinken diese Kosten Jahr für Jahr. Die bei der Debatte immer mitschwingende Argumentation, wir könnten uns das Rentensystem in dieser Form nicht mehr leisten, ist also nachgewiesenermaßen falsch.
Kommen wir zum demographischen Wandel und begeben uns dabei in vermintes Terrain. Dass jedes Jahr mehr alte Menschen in Rente gehen als junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachwachsen, ist vollkommen korrekt. Daraus ein unabwendbares Problem für die Rentenversicherung zu machen, ist jedoch vollkommen unseriös. Die NachDenkSeiten haben auf diese Manipulation schon seit ihrer Gründung immer wieder hingewiesen. Zu den aktuellen Zahlen hatte erst vor wenigen Wochen Reiner Heyse auf den NachDenkSeiten etwas geschrieben. Kurz dazu: Die vielzitierten „Babyboomer“ gehen nicht in einigen Jahren in Rente; sie gehen es schon jetzt und der Höhepunkt dieser Entwicklung wird um das Jahr 2029 herum stattfinden – also im Jahr der nächsten regulären Bundestagswahlen. Danach geht es wieder bergab mit der Jahrgangsstärke und in zehn Jahren werden weniger Menschen in das Rentenalter eintreten als heute, Tendenz weiter abnehmend. [...] Heyse folgert daraus: „Die Fakten zeigen, das ´Problem´ ist temporär und durchaus im Rahmen der Umlagefinanzierung beherrschbar. Das wird seit etlichen Jahren von der Deutschen Rentenversicherung erklärt und mit sehr validen Daten belegt“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Katastrophenszenarien, die sich auf den demographischen Wandel beziehen, sind interessengesteuert und kontrafaktisch.
Fast spannender als das, was zu dem Thema öffentlich gesagt und geschrieben wird, ist das, was nicht erwähnt wird. Die bloße Zahl von Jungen und Alten ist für die Rentendebatte nämlich eigentlich gar nicht so wichtig. Die Rentenbeiträge müssen schließlich auch bezahlt werden. Hätten wir eine Million mehr junge Menschen, die nicht in die Kassen einzahlen, hätte dies, Demographie hin oder her, keine positive Auswirkung auf das Umlagesystem. Wichtig ist also vor allem, dass die „Jungen“, also diejenigen, die ins Umlagesystem einzahlen, ordentliche Löhne beziehen, sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und einer produktiven Tätigkeit nachgehen. In den 1950ern kamen auf einen Rentner rund drei bis vier Beitragszahler. Heute kommen auf einen Rentner rund zwei Beitragszahler und es werden künftig sogar noch etwas weniger. Ist das ein Problem? Nein, da ein Arbeitnehmer im Jahre 2025 wesentlich produktiver ist als ein Arbeitnehmer in den 1950ern. Die ganze Rechnung ohne den Produktivitätszuwachs zu machen, ist sinnlos. Nicht der demographische Wandel als solcher, sondern die in den letzten Jahren schlechte Produktivitäts- und Lohnentwicklung der Bundesrepublik ist ein Problem für das Rentensystem.
Ein weiteres großes Problem ist die Entwicklung, dass immer mehr volkswirtschaftliche Einkünfte nicht mehr durch sozialversicherungspflichtige Arbeit, sondern durch Kapitaleinkünfte erzielt werden, die über das Umlagesystem nicht umverteilt werden und dank politischer Blockade auch nicht über Steuerzuschüsse ins System umgeleitet werden. Die Rentenversicherung ist heute eine Absicherungssystem innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer. Wenn man die Rente nun aber als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert, müsste man auch die Finanzierungsbasis gesamtgesellschaftlich ausweiten. Aber auch hier gilt: Das Umlagesystem ist auch ohne eine solche Erweiterung tragfähig; das Rentenniveau könnte jedoch steigen, wenn man die Basis erweitert. Doch solche Debatten werden leider nicht geführt, widersprechen sie doch den Erzählungen.
[...] Warum „die jungen Wilden“ der CDU nun von den Medien als Vertreter „der Jungen“ inszeniert werden, ist also ein echtes Rätsel. Würden sich diese „Abweichler“ mit all ihren Forderungen durchsetzen, hätte dies vor allem negative Folgen für ihre Generation, während die Folgen für die „Boomer“ überschaubar blieben.
Es ist ohnehin unverständlich, warum in dieser Debatte derart schrille Katastrophenszenarien bemüht werden. Was sind denn eigentlich die dramatischen Folgen für „die Jungen“, von denen immer gesprochen wird? Auch dazu hatte Reiner Heyse bereits etwas auf den NachDenkSeiten geschrieben – würde man das Rentenniveau durch eine Erhöhung des Beitragssatzes stabilisieren, würde dies nach aktuellen Schätzungen der Rentenversicherung auf eine Erhöhung um 2,6 Prozentpunkte in den kommenden 15 Jahren hinauslaufen; wie bereits erwähnt, damit wäre dann auch der gesamte „Boomer-Bauch“ ausgeglichen und danach würde sich die Lage ohnehin wieder entspannen, da dann die geburtenschwächeren Jahrgänge in Rente gehen.
Und wer nun meint, dies sei der Weltuntergang – in einem Szenario, bei dem kein einziger Cent zusätzlicher Steuergelder fließt und der gesamte demographische Effekt ausschließlich von den Beitragszahlern übernommen wird, käme man dann im Jahr 2040 auf einen Beitragssatz von 21,2 Prozent, also gerade mal 0,8 Prozentpunkte über dem Wert von 1998. Berücksichtigt man die paritätische Finanzierung der Rente, würden wir übrigens bei weniger als 0,1 Prozent Steigerung pro Jahr ankommen. Dies gilt wohlgemerkt für das Szenario, bei dem die kompletten Mehrkosten durch den demografischen Wandel bei Sicherung des jetzigen Rentenniveaus dem Beitragszahler aufgebürdet werden. Würde man die Lasten zum Teil auf den Steuerzahler abwälzen, wäre die Steigerung der Beiträge dementsprechend geringer. Und das ist jetzt so fürchterlich dramatisch? So dramatisch, dass die „jungen Abweichler“ angeblich ihr Gewissen über die Fraktionsdisziplin stellen? Ich habe da meine Zweifel.
Wahrscheinlicher ist, dass die Union das Spielfeld für die kommenden Debatten zur „echten Rentenreform“ schon mal vorbereitet. Der Union ist schließlich daran gelegen, allerlei Grausamkeiten bei der Rente durchzusetzen – von der Teilprivatisierung bis hin zur Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die Finanzkonzerne scharren ja bereits mit den Hufen. All diese Punkte sind beim Wähler nicht gerade beliebt und da kann es sicher nicht schaden, schon einmal einen Erzählungsrahmen zu setzen, in dem man sich als selbstloser Bewahrer des Rentensystems in Szene jetzt, der die Interessen der Jungen im Auge hat und die Rente gleichzeitig vor dem sicheren Kollaps rettet – natürlich mit „unbeliebten Reformen“. Dass dies alles nicht der Wahrheit entspricht und den Fakten zuwiderläuft, weiß ja dank der lausigen Berichterstattung niemand. [...]"
Dank der Nachdenkseiten sind wir jetzt in einer anderen Situation.
Dass es früher Norbert Blüm von der CDU war, der immer versicherte, die Renten seien sicher und dass alle Rechnungen auf Prognosen beruhen, die wirtschaftliche Einbrüche aufgrund von Kriegen oder Umweltkatastrophen nicht einpreisen können, ist freilich auch zu bedenken. Sicher ist nur, dass in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion manche Argumente nur wenig zur Geltung kommen. - Fonty
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