Die vorläufigen Ergebnisse der mit Spannung erwarteten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen liegen vor: In Thüringen ist die AfD stärkste Kraft. Sie erhielt fast ein Drittel der Stimmen, Zweiter wurde die CDU. In Sachsen gewann die CDU knapp vor der AfD. In beiden Ländern stufen die Landesämter für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistische Bestrebung ein. Das neu gegründete BSW konnte aus dem Stand zweistellige Ergebnisse einfahren. Europas Presse ordnet ein.
Politisches Erdbeben
La Repubblica fühlt sich an 1924 erinnert:
„Es ist ein Erdbeben, das die Geschichte verändert. Zum ersten Mal seit Kriegsende gewinnt eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl in Deutschland. 90 Jahre nach Hitlers Machtergreifung. Und das in einem Bundesland, Thüringen, das für die erste Unterstützung der Nazis bei einer Kommunalwahl im Jahr 1924 berüchtigt ist. Das ist genau ein Jahrhundert her. Björn Höcke ist einer der unbestrittenen Gewinner dieser Wahl: Der Vorsitzende der AfD in Thüringen erhält fast 33 Prozent. Die großen Verlierer sind die drei Parteien der zerstrittenen Ampel-Regierung.“
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Das ist nicht Weimar 2.0
Der Erfolg der AfD sollte realpolitisch nicht überbewertet werden, rät The Times:
„Ja, Thüringen war der Ort, wo die Nazis ihren ersten Durchbruch auf regionaler Ebene hatten. Ja, mit ihrer Sperrminorität von einem Drittel der Sitze im Landtag wird die AfD in der Lage sein, ein gewisses Maß an Unheil anzurichten. Und ja, sie wird in Thüringen sporadisch mit dem BSW oder der CDU zusammenarbeiten. Doch solange die Tabus bestehen bleiben, wird sie nicht in die Regierung kommen. Die Herausforderung für die etablierten Parteien besteht darin, sich nicht mehr auf abgedroschene Nazi-Analogien als Krücke zu stützen, sondern diese politische Warnung mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu behandeln.“
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Die Brandmauer hält - noch
Bei diesen Wahlen ging es beileibe nicht nur um lokale Fragen, schreibt Rzeczpospolita:
„Der Osten zeigt seine Unzufriedenheit mit der Bundespolitik zum Krieg in der Ukraine und zur Zuwanderung. Denn es waren keineswegs regionale Themen, sondern die große internationale Politik, die in Thüringen und Sachsen im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand. ... Es ist zu erwarten, dass der Cordon sanitaire um die AfD dieses Mal tatsächlich noch halten wird. Aber es kracht bereits gefährlich. Der unzufriedene Osten hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen.“
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Bizarre Koalitionen sind keine Lösung
Der jetzige Umgang mit der AfD kann nach Meinung von Lidové noviny keine Dauerlösung sein:
„Die AfD gewinnt Wahlen, schafft es dann aber nicht, funktionierende Mehrheiten und Regierungen zu bilden. Deshalb bilden sich bizarre Koalitionen. Deshalb ist die CDU auf ewig dazu verdammt, mit Linken zu regieren oder in der Opposition zu sein. Wäre es nicht besser, die AfD gerichtlich zu verbieten oder sie ins Spiel zu lassen? Wie lange kann der jetzige Zustand andauern?“
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Extremismus gibt es auch im Westen
Das Wahlergebnis ist trotz der niedrigen Bevölkerungszahl im Osten Deutschlands signifikant, schreibt G4Media.ro:
„In beiden Ländern haben die Parteien der Ampel-Koalition sehr schwache Ergebnisse erzielt. ... Währenddessen steht der Chef der Bundes-CDU Friedrich Merz unter dem Druck seines rechten Parteiflügels, seine Anti-Einwanderungs-Rhetorik zu verschärfen, was der AfD offenbar geholfen hat - nach dem Terrorangriff in Solingen. … Die drei Länder Sachsen, Thüringen und Brandenburg [wo am 22. September Wahl ist] machen zusammen nur zehn Prozent der bundesweiten Bevölkerung aus und weisen Eigenheiten des einstigen kommunistischen Ostens auf, doch der Aufstieg der extremistischen Parteien AfD und BSW ist kein isoliertes Phänomen mehr, sondern droht auf den Westen überzugreifen.“
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Der Fortschrittsoptimismus ist weg
Für Zeit Online zeigt das Wahlergebnis den Verlust des Vertrauens,
„dass die etablierten Parteien, von der CDU bis zu den Grünen, noch in der Lage sind, jene Probleme zu lösen, die den Wählerinnen und Wählern auch in Sachsen und Thüringen wieder am wichtigsten waren, allem voran die Migration. ... Das größte Problem ist aber vielleicht, dass es kein Zutrauen mehr in die Version von Deutschland gibt, die es über viele Jahrzehnte zu sein schien - ein sehr stolzes, innovatives, fortschrittliches Land. Die Bahn fährt nicht, die Energiewende ist ein mittleres Desaster, Stahlkonzerne ziehen sich zurück. Es reicht nicht mehr, das nur so dahinzusagen. Dieses Wahlergebnis belegt es. Der Fortschrittsoptimismus ist weg.“
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