Montag, 27. Januar 2020

euro|topics: Auschwitz: Was tun gegen das Vergessen?

Vor 75 Jahren erreichte die Rote Armee das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Am heutigen Jahrestag erinnern etwa 200 Holocaust-Überlebende und viele Politiker in der Gedenkstätte in Polen an die Befreiung. Am Donnerstag fand bereits in Israel eine Gedenkfeier statt. Viele Autoren beschäftigt der Gedanke, wie die Erinnerung an die Schoah auch heute noch wach gehalten werden kann.
LIBÉRATION (FR)

Das Böse ist Teil der menschlichen Natur

Frans Timmermans, Vize-Vorsitzender der EU Kommission, erklärt in Libération, warum das Gedenken so wichtig ist:
„Wenn wir uns ebenso der Größe wie der Perversität des menschlichen Geists bewusst sind, verstehen wir erst wirklich die menschliche Natur und haben vielleicht eine Chance, unsere Dämonen zum Schweigen zu bringen. ... Der Holocaust ist ein einmaliges Ereignis in der europäischen Geschichte. Die Mechanismen, die ihn möglich gemacht haben, sind aber absolut nicht einzigartig, sie sind Teil der menschlichen Natur. Die Menschheit, und besonders die Europäer, haben die permanente Verpflichtung, sich dessen bewusst zu sein und das Bewusstsein dieser Dualität an künftige Generationen zu vermitteln.“
Franz Timmermans
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Empathie nicht verlernen

Die Erinnerung an die Schoah muss jederzeit wach gehalten werden, mahnt die Neue Zürcher Zeitung:
„Man muss nicht selber in Auschwitz gewesen sein, um das Entsetzen und die Trauer zu lernen. Was man über das Schlimmste aller Menschheitsverbrechen erfahren kann, ist überall verfügbar. Jeder denkende und mitfühlende Mensch wird früher oder später darauf stossen. Es braucht Wissen und Konzentration, aber vor allem Empathie und Phantasie - und in ihrer Pflege und ihrer Bewahrung ist es, wo die Gesellschaft ansetzen muss, um moralisch wach und politisch klug zu bleiben. So sehr uns die digitale Welt mit ihrem Universum des Vorformatierten und Vorverdauten das Leben erleichtert, so sehr lässt sie den Muskel der Einfühlung in andere und der eigenen Vorstellungskraft erschlaffen.“
Andreas Breitenstein
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DIE PRESSE (AT)

Vorbote des demokratischen Verfalls

Antisemitismus wird viel zu lasch entgegengetreten, klagt die frühere spanische Außenministerin Ana de Palacio in der Tageszeitung Die Presse:
„Erwähnungen von Antisemitismus werden oft mit einem Achselzucken abgetan oder sogar auf zynische Art und Weise rationalisiert. Empörung oder Solidarität mangelt es an Tiefe, und Diskussionen werden von Auseinandersetzungen über die israelische - oder sogar die US-amerikanische - Politik überlagert. ... Zwei Gründe für diese schwache Reaktion verdienen besondere Aufmerksamkeit. Der erste ist das Verblassen der Erinnerung. Die Geschichte des Antisemitismus in Europa ist fast so alt wie Europa selbst. ... Der zweite Grund ist die allgemeine Aushöhlung demokratischer Prinzipien und Institutionen. ... Wenn wir uns nicht darauf einigen können, dass Antisemitismus in unseren Gesellschaften keinen Platz hat, worauf können wir uns dann einigen?“
de Palacio Ana
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MLADÁ FRONTA DNES (CZ)

Unwürdiges Fingerhakeln über den Gräbern

Völlig unbegreiflich findet Šimon Krbec vom Studienzentrum des Genozids Terezín (Theresienstadt) in Mladá fronta dnes die Zerstrittenheit über das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren:
„Die politischen Vertreter von Ländern, deren Bürger während des Holocausts starben, beschuldigen sich gegenseitig, die Geschichte zu fälschen, der Kollaboration mit den Nazis und am Ende gar eines Anteils am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In Europa macht sich eine gefährliche Tendenz der selektiven Wahrnehmung der Geschichte breit. ... Das Theater darüber, wer wen einlädt oder nicht einlädt, ist unwürdig. Wer sonst muss darüber regelrechte Freude empfinden, als der, der sich wünscht, dass der Holocaust ein für allemal vergessen wird?“
Šimon Krbec

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