Clemens Fuest, Jahrgang 1968, leitet seit April 2016 das Ifo-Institut in München. Zugleich unterrichtet der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Der gebürtige Münsteraner war mehrere Jahre an der Universität Oxford tätig, bevor er 2013 nach Deutschland zurückkehrte, um die Leitung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zu übernehmen. Fuest ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es mit Griechenland aus?
Fuest: Das ist wegen seiner geringen Größe weniger gefährlich für die Eurozone insgesamt. Aber deren Probleme zeigen sich dort wie unter einem Brennglas.
SPIEGEL ONLINE: Griechenland wird häufig als Sonderfall bezeichnet.
Fuest: Da ist ein bisschen Wunschdenken dabei. Griechenlands Grundproblem haben auch andere Euroländer: Banken, die über Staatsanleihen stark in der Finanzierung von Staaten engagiert sind und deswegen nicht pleitegehen dürfen. Deshalb können Staatsschulden nicht restrukturiert werden, private Investoren werden aus der Haftung entlassen und statt dessen die Steuerzahler belastet. All das wurde mit viel zu optimistischen Prognosen und teilweise offenkundigen Lügen verschleiert.
SPIEGEL ONLINE: Wird auch heute noch gelogen?
Fuest: Ja, das ganze Hilfsprogramm für Griechenland war eine einzige Irreführung. Weil die Kredite nicht zurückgezahlt werden können, sind es eigentlich Transfers. Und Griechenland war offenkundig nie bereit, die unterschriebenen Reformvereinbarungen auch umzusetzen.
SPIEGEL ONLINE: Na ja, bei den Renten beispielsweise wurde durchaus massiv gekürzt. Diesen Vereinbarungen hat Griechenland zudem unter dramatischen Bedingungen zustimmen müssen. In Ihrem Buch beschreiben Sie selbst die Inszenierung der Euro-Rettung als eine Abfolge nächtlicher Krisengipfel. Wie kommen wir da wieder raus?
Fuest: Wir müssen überlegen, wo wir diese europäischen Politikrituale wollen. Für die Geldpolitik zum Beispiel wurde die Europäische Zentralbank als unabhängige Institution mit festen Regeln gegründet, weil das Thema viel zu wichtig war. Auch über künftige Krisen von Banken oder Staaten sollten nicht Regierungschefs entscheiden, sondern Technokraten mit klaren Regeln.
"Zunehmender Hass aufeinander"
SPIEGEL ONLINE: Geht da nicht ein Wir-Gefühl verloren, das diese nächtlichen Gipfel bei allem Streit auch transportieren?
Fuest: Ich denke, in den vergangenen Jahren ist das Gegenteil passiert. Der Eindruck, dass Deutschland zum Beispiel entscheidet, was Griechenland seinen Rentnern zahlen darf, führt zunehmend zu Hass aufeinander.
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