Sonntag, 26. August 2012

noch einmal: Beschneidung

Einen wunderbar differenzierten Artikel zum Thema "Beschneidung" und einen wertvollen Beitrag zur Diskussion eines Beschneidungsverbotes hat Lorenz S. Beckhardt am 23.8.12 in der Frankfurter Rundschau geliefert. Von anderen Erfahrungen her kommend habe ich eine etwas abweichende Position, aber ich bin sehr dankbar für seinen Beitrag, weil er mir ein weit besseres Verständnis des Problems ermöglicht, als ich es ohne ihn hätte erreichen können. Er schreibt:
Natürlich ist ein Judentum ohne Beschneidung denkbar. Diskutieren, streiten, Regeln aufstellen, um sie wieder zu verändern, das ist jüdischer Alltag. Noch mag die Mehrheit auch der säkularen Juden nicht auf die Beschneidung verzichten. Salopp formuliert: Wir brauchen sie, solange der Geruch der Asche noch in unseren Kleidern steckt. Doch selbst aus einer orthodoxen Gemeinde wird schon heute niemand verwiesen, der unbeschnitten daherkommt.
Aber er weist auch darauf hin, dass es hoch problematisch ist, wenn in Deutschland eine Diskussion über Beschneidung geführt wird, ohne zu beachten, dass es bei der Begründung des Judentums bereits eine Ablehnung der Beschneidung als "barbarisch blutenden Akt" (Abraham Geiger) gab, dass diese Diskussion aber durch die Schoa (Holocaust) in einen Kontext gestellt worden ist, der die Ablehnung der Beschneidung erschwert.
Religionsfreiheit verstehen wir so, dass wir den in Auschwitz unterbrochenen Weg in die Moderne aus eigenem Antrieb und in freier Selbstbestimmung gehen, wie es seit den Tagen Moses Mendelssohns, des großen jüdischen Aufklärers, bei uns Tradition ist. Eine nichtjüdische Begleitung auf diesem Weg benötigen wir nicht; ihn nicht zu behindern, würde dieses Mal schon reichen.
Religionsfreiheit rechtfertigt in meinen Augen nicht Körperverletzung der eigenen Kinder, auch wenn diese ihrerseits noch keine Religionsmündigkeit haben können und den Eltern nicht zugemutet werden kann, ihre Kinder ohne Religion aufzuziehen, wenn sie Religion für ein "richtiges Leben" für notwendig halten.
Aber eine rechtliche Regelung der Beschneidung in Deutschland darf nicht den den historischen Kontext übergehen, in dem Beschneidung in der deutschen Geschichte steht. Dazu ist hochinteressant, zu erfahren, weshalb Beckhardts Vater seinen Sohn nicht beschneiden ließ und weshalb sich dieser mit 20 Jahren für eine Beschneidung entschied. Man lese es nach. (vgl. auch meine frühere Stellungnahme zur Diskussion eines Beschneidungsverbotes)

Nachtrag:
Charlotte Knobloch in der Süddeutschen Zeitung vom 5.9.12 zur Beschneidungsdebatte
Joachim Gauck bei Synagogeneinweihung
Hinweis auf Alfred Bodenheimer: „Haut ab!“, Wallstein-Verlag von Christian Bommarius in der Frankfurter Rundschau vom 1.12.12
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Nachtrag vom 13.12.12:
Diskussion zu Beschneidung und Blasphemie

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