Freitag, 8. November 2019

Rechtsverschiebung des politischen Diskurses

„Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
Nein, diese Sätze stammen nicht aus Kramp-Karrenbauers Grundsatzrede, sondern aus einem Interview, das der damalige Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 dem Deutschlandfunk gab. Die Kritik, die diesen Sätzen folgte, war gewaltig. [...]
Was vor neun Jahren noch als Tabubruch wahrgenommen wurde, ist heute Normalität.
Es wäre auch falsch, dies nun auf die Person Kramp-Karrenbauer zu fokussieren. Es ist kaum vorstellbar, dass die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin ihre Aussagen nicht zuvor mit der Kanzlerin und sicherlich auch mit ihren internationalen Partnern aus der NATO und den USA abgestimmt hat. [...]"
Jens Berger: "Wenn es noch einen Beleg für die Rechtsverschiebung des politischen Diskurses braucht, dann ist dies das Schweigen zu AKKs „Hunnenrede“" Nachdenkseiten, 8.11.19
https://www.nachdenkseiten.de/?p=56209

Was Jens Berger nicht erwähnt: Was Köhler aussprach, war seit Klaus Kinkel (FDP, Außenminister 1992-98) außenpolitische Doktrin. Köhler als parteipolitischer Neuling beging den Fehler, das auszusprechen, was seit Jahren außenpolitischer Konsens war. Spätestens nach dem NATO-Angriff auf Serbien. Nur hatten damals die Alliierten die deutsche Zurückhaltung bei "Out of area"-Einsätzen der Bundeswehr akzeptiert. 
Der deutsche Anteil an bewaffneten Einsätzen sollte möglichst unauffällig sein. 

Bundespräsident Joachim Gauck hatte großen Rückhalt in Regierung und Parlament, als er am 12.6.2012 formulierte:
"Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten – wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten? Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, werden heute ausgebildet mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden – mit allen Gefahren für Leib, Seele und Leben. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir, die Zivilen, uns bewusst machen, was Ihnen abverlangt wird und welche Aufgaben wir von Ihnen in der Zukunft erwarten. All das darf nicht allein in Führungsstäben und auch nicht allein im Parlament debattiert werden. Es muss da debattiert werden, wo unsere Streitkräfte ihren Ort haben: in der Mitte unserer Gesellschaft." (Gauck: Antrittsbesuch bei der Bundewehr)
Ich habe damals noch auf  Artikel 87a des Grundgesetzes verwiesen, wo es in Absatz 2 heißt: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt."

Freilich, mit meiner Empörung war ich schon damals Teil einer Minderheit. 

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