Die Menschheit spielt anscheinend seit Jahrzehnten die Sage von den sibyllinischen Büchern nach.
Nach dieser Sage bot die Seherin Sibylle dem römischen König Tarquinius neun Bücher an. Als ihm der Preis zu hoch erschien, verbrannte sie so lange die Bücher, bis er das restliche Drittel zu dem vorher angeblich zu hohen Preis kaufte.
Nur stellt sich die Menschheit etwas dümmer an als dieser sagenhafte König.
Denn sie verbrennt selbst das, wofür ihr der erste Preis zu hoch erschien, und der Preis für den Rest bleibt nicht gleich, sondern steigt ständig an.
Das ist bekannt, trotzdem will sie den Deal nicht eingehen, obwohl sie weiß, dass er im Endeffekt unvermeidlich ist.
Natürlich wiederholt sich nicht genau dieselbe Geschichte. Denn die Menschheit ist kein einzelner König, und nicht alle Menschen wissen Bescheid, sondern nur die Entscheider. Und die wollen den Deal nicht eingehen, weil sie hoffen, dass nicht sie selbst, sondern andere den Preis zahlen müssen: die Staaten in der Südsee, die Armen und Abgehängten, die böse Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Und vor allem, die Nachfolger. Die nachfolgende Regierung, die nachfolgende Generation.
So verbrennt der Regenwald, die letzten Hoffnungen auf eine Vermeidung der Katastrophe verglimmen, und wir alle hoffen: Hoffentlich trifft es nur die anderen, nicht mich.
Warum handelt niemand?
("Bis sie versinken" von Marcus Jauer ZEIT 15.6.2019, S.12/13)
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