Am Sonntag hat die SPD Martin Schulz offiziell zum Herausforderer von Angela Merkel für die Bundestagswahl ernannt. In ersten Umfragen verschaffte Schulz seiner Partei Aufwind. Sie legte um drei Punkte auf 24 Prozent zu, bei einer Direktwahl würden gar 41 Prozent für den
Ex-Präsidenten des Europaparlaments stimmen – so viele wie für Merkel. Grund genug für die Presse, die Erfolgschancen von Schulz gründlich zu analysieren.
Schulz' Schwächen werden sich noch zeigen
Dem Jubel der SPD über die Nominierung von Martin Schulz könnte bald Ernüchterung folgen, vermutet Der Standard:
„Die Lobgesänge auf Schulz ... zeigen auch, wie bitter nötig die einst so stolze Partei einen Hoffnungsträger hat. Nach drei Jahren als Juniorpartnerin von Kanzlerin Angela Merkel ist sie verzagt und mutlos, weil es in den Umfragen einfach nicht bergauf gehen will. Und dann kommt Schulz - und schwups liegen zwar Union und SPD noch nicht gleichauf, doch holt Schulz bei der Frage nach der Direktwahl gleich einmal auf. ... Doch wenn [sich die Begeisterung] erst einmal legt und der Alltag kommt, werden sich auch Schwächen zeigen: etwa dass Schulz kein Rederecht im Bundestag hat und vielen für das verhasste Europa steht. Unklar ist vor allem, welche bundespolitischen Pflöcke er einschlagen will. Bald wird der 'heilige Martin' aus seinem warmen Mantel ein paar konkrete Konzepte hervorholen müssen.“
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Ein neues Gesicht reicht nicht
Ein bloßer Personalwechsel an der Spitze ist nicht genug, damit ein Neuanfang der SPD gelingt, erklärt Pravda:
„Womöglich versucht Schulz, die gleichen Akkorde zu spielen wie Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Bernie Sanders in den USA. In Kombination mit
Benoît Hamon, der die Vorwahl der französischen Linken gewonnen hat, wäre das eine gute Nachricht für Europa. Aber Schulz ist weder ein Corbyn oder ein Sanders, noch ein Hamon. Er steht nicht für den linken Flügel der SPD, sondern für den Mainstream in der Partei. ... Damit die SPD wieder eine Alternative wird, braucht es mehr als einen neuen Kopf. Die SPD war Geburtshelferin einer Phase, in der das Land zwar Exportweltmeister wurde, die Deutschen aber immer mehr soziale Ungerechtigkeit verspürten. Will sie sich von diesem Erbe befreien, ihre alten Visionen revitalisieren? Oder nur ein besseres Wahlergebnis einfahren? An Ersteres mag man nur schwer glauben.“
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Unbequemer Gegner für Merkel
Dass Schulz für Merkel und die CDU ein ernstzunehmender Herausforderer ist, glaubt hingegen Lidové noviny:
„Bei Vorgänger Sigmar Gabriel wussten sie um dessen Schwächen. Zudem hatte er als Vizekanzler Loyalität gegenüber Merkel zu wahren. Schulz dagegen kann außerhalb der Regierung und des Parlaments gegen Merkel zu Felde ziehen. ... Er ist bei den SPD-Mitgliedern sehr beliebt, wird als authentisch sozialdemokratisch angesehen. Der bisherige Chef des Europaparlaments hat sich bislang klar von der Politik der Budgetkürzungen distanziert, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Schuldnerstaaten der Eurozone vor allem mit Merkel verbunden wird. Schulz nennt diesen Kurs neoliberal und hat wiederholt beispielsweise die Griechen demonstrativ gegen einen solchen Kurs verteidigt - und sich damit gegen Berlin gestellt.“
Am 8.8.17 eine energische Abrechnung des Betreibers der Nachdenkseiten Albrecht Müller:
Aus meiner Sicht ist das Wunschdenken oder Ausdruck von Aggression. Die Aussage berücksichtigt nicht, dass für den linken Flügel weder vom Programm noch vom Personal her eine Machtbasis gibt. Damit ein erfolgreicher Schwenk einsetzen kann, muss zumindest ein Teil der SPD-Führung umdenken.
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