Freitag, 17. April 2020

euro|topics: Wird die Corona-Krise zur Bildungskrise?

In vielen Ländern Europas werden die Schüler seit einigen Wochen online zuhause unterrichtet, weil die Schulen zur Pandemiebekämpfung geschlossen sind. Dabei haben nicht alle Kinder einen eigenen Computer, manche haben nicht einmal Internet. Europäische Pressestimmen beklagen die sich dadurch verschärfende soziale Ungleichheit, mahnen aber auch zur Vorsicht bei der Wiedereröffnung der Schulen.
LIBÉRATION (FR)

Schritte behutsam planen

Frankreich will seine Schulen ab dem 11. Mai schrittweise wieder öffnen. Zunächst sollen insbesondere Schüler zurückkehren, die beim Lernen von zu Hause aus benachteiligt sind. Das erfordert eine gründliche Absprache mit allen Beteiligten, mahnt Libération:
„Die Lehrkräfte haben nur eine Angst, nämlich die, sich mit den vorhandenen Mitteln durchschlagen zu müssen. ... Und die Familien fürchten sich davor, ihre Kinder mit Angst im Bauch in die Schule zu schicken. Beiden Gruppen muss Gehör geschenkt werden. Die Situation erlaubt es nicht, Risiken einzugehen. Im aktuellen Stadium der Epidemie musste ein Ziel gesetzt, ein Hoffnungsschimmer aufgezeigt werden. Das hat Emmanuel Macron getan. Nun muss es konkretisiert werden - nicht nur in den Fernsehstudios.“
Alexandra Schwartzbrod
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DIE WELT (DE)

Bildung muss Priorität haben

Um das Schuljahr zu einem guten Ende zu bringen, darf es nur wenige Tabus geben, fordert der Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt, Ulf Porschardt:
„Lehrpläne müssen unter Umständen in den bislang terminierten Sommerferien nachgeholt werden, und gerade in Brennpunktschulen muss das Worst-Case-Szenario einer komplett ausgefallenen Beschulung angenommen werden. Die schwächsten Kinder, wie vom Lehrerverband vorgeschlagen, wiederholen zu lassen, führt in die falsche Richtung. Egal, wie bitter die wirtschaftlichen Kerben dieser Covid-19-Katastrophe sein werden, der Anspruch auf eine umfassende Bildung darf nicht zurückstehen. ... Covid-19 ist ein Rendezvous mit der Komplexität der Gegenwart. Um sie zu verstehen, braucht es möglichst gebildete Gesellschaftsmitglieder. ... Deswegen gehört bei allen Exit-Szenarien das Thema Schulen und Kitas in die Top-drei-Box.“
Ulf Poschardt
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LRT (LT)

Die Utopie der digitalen Pädagogik

Die Professorin für Politik der Universität Vilnius, Natalija Arlauskaitė, beschreibt auf Lrt, wie das seit drei Wochen in Litauen stattfindende Online-Lernen bürgerliche Utopien platzen lässt:
„Vor allem ist klar geworden, dass sowohl das Unterrichten als auch das Studieren gute Bedingungen, gute Technik und gute Internetverbindungen braucht. Bedingungen umfasst Vieles, zum Beispiel, eine eigene Ecke zum Arbeiten, immer dasselbe 'eigene Zimmer', wie Virginia Woolf schreibt, ohne das nichts zustande kommt, und das nicht selbstverständlich ist, weder für die Dozenten noch für die Studenten. ... Wir haben bald bemerkt (und gut, dass wir es bemerkt haben), dass die Utopie der digitalen Pädagogik, die zu einer Utopie der Gleichheit werden sollte, einer sehr bourgeoisen Vorstellung entstammt, die die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit nicht wahrnimmt.“
Natalija Arlauskaitė
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PÚBLICO (ES)

Online-Unterricht macht Arme ärmer

In Spanien findet der Unterricht seit fünf Wochen online statt. Dass das letzte bis Juni gehende Trimester dennoch bewertet wird, verschärft die Klassenunterschiede, beklagt die Vorsitzende der spanischen Schülergewerkschaft, Coral Latorre, in Público:
„Das Ministerium weigert sich, die für alle offensichtliche Tatsache anzuerkennen, dass das Schuljahr bereits beendet ist. ... Der Online-Unterricht schließt einen Großteil der einkommensschwachen Familien aus, somit werden Lehrinhalte bewertet, die nicht gleichberechtigt erteilt wurden. Wer das ignoriert, verschließt die Augen vor der wachsenden Kluft im Bildungssystem und hält an einem Modell fest, das die öffentliche Schulbildung zerstört und die Abbrecherquoten im europäischen Vergleich nach ganz oben getrieben hat.“
Coral Latorre
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CORRIERE DELLA SERA (IT)

Bildungspolitiker sind gleichgültig

Viele junge Menschen in Italien bleiben auf der Strecke, mahnt auch der Historiker Ernesto Galli della Loggia in Corriere della Sera:
„In der allgemeinen Selbstgefälligkeit für den Fernunterricht über das Netz ist eine dramatische Tatsache im Schatten geblieben, dass nämlich mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler von einem solchen Unterricht nicht profitieren können, weil ihnen ein Computer fehlt oder weil sie zu Hause keinen Internetanschluss haben. Es versteht sich von selbst, dass zu diesem Drittel die Kinder der am stärksten benachteiligten Familien, nämlich der in Süditalien lebenden Familien und der jungen Einwanderer gehören. ... All dies offenkundig unter äußerster Gleichgültigkeit des Bildungsministeriums, das sich nicht bewusst macht, dass dies die Kluft zwischen den sozialen Klassen vertieft.“
Ernesto Galli della Loggia
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