Aus einem Interview mit Sina Arnold und Meron Mendel über ihr Buch
"[...] Wir wollten ein Forum für einen kritischen Austausch von Antisemitismus- und Rassismuskritik bieten, und das ist so nicht aufgegangen. Unsere Ausgangsdiagnose, dass der politische Streit unmöglich ist, hat sich im Laufe des Produktionsprozesses bestätigt. Aber gleichzeitig muss man auch sagen, dass wir für das Buch seit Erscheinen sehr viel Zuspruch erhalten haben – von Personen aus dem Feld der Antisemitismus- wie der Rassismuskritik. [...]
Das Projekt wäre fast schon vor der Veröffentlichung gescheitert: Zwei Autoren, Kerem Schamberger und Ramsis Kilani, haben ihren eigentlich geplanten Text nicht im Buch abdrucken dürfen. Was war so polarisierend oder explosiv an ihrem Beitrag?
Arnold: Ihr Beitrag war für das Herzstück des Buchs geplant, den Teil der FAQs – Frequently Asked Questions. Dort werden unterschiedliche Antworten auf scheinbar naive Fragen gegeben, beispielsweise zu: Ist Kritik an Israel antisemitisch? Ist jede Verschwörungstheorie antisemitisch? Und auch: Ist der BDS antisemitisch? Wir haben zwei sehr BDS-kritische Beiträge dazu, das spiegelt auch unsere Position als Herausgeber:innen wider. Wir wollten aber auch einen Text dabei haben, der deutlich macht, warum ein Boykott für viele eine annehmbare politische Strategie ist. Wir fanden, dass man über das Thema diskutieren sollte. Der Beitrag von Schamberger und Kilani befasste sich mit der Abwesenheit palästinensischer Positionen in der deutschen Debatte. Als wir die Namen der Autoren aus produktionstechnischen Gründen relativ spät bekanntgaben, machten einige Autorinnen und Autoren klar, dass sie mit den beiden nicht in einem Sammelband sein wollten. [...]
Mendel: Die Lagerbildung ist sehr stark sozialisationsbedingt. Es gibt Kreise, in denen sich der moralische Kompass am Holocaust ausrichtet. Aus der Tradition heraus, die auch ein Stück weit die Frankfurter Schule repräsentiert und die Mahnung, dass sich der Holocaust nicht wiederholen darf, entstand eine linke Denkschule, die der Frage nachgeht, wie es verhindert werden kann, dass wieder Antisemitismus verbreitet wird. Die andere linke Denkschule ist aus der postkolonialen Tradition entstanden, die außerhalb von Deutschland viel verbreiteter ist. Für sie bestimmt das Thema Kolonialismus den moralischen Kompass und die Frage nach Antisemitismus ist sekundär. Juden werden in der Regel in dieser Denkschule als Weiße gesehen – dazu haben wir auch den Beitrag „Sind Juden weiß?“ im Buch. [...]
Aus postkolonial-rassismuskritischer Sicht gilt die Solidarität den Schwachen, Marginalisierten, Ausgeschlossenen, Entrechteten – und damit oft den Palästinenser:innen. BDS-Unterstützer:innen interpretieren mitunter auch die Staatsgründung Israels als einen Akt des europäischen Kolonialismus. Wenn Sie sagen, man muss auch andere Sichtweisen berücksichtigen: Haben Sie denn Verständnis für diese Begründungen der BDS-Unterstützung?
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