Donnerstag, 6. Februar 2020

Königsmacher AfD in Thüringen: Ein Tabubruch?


In Thüringen ist am Mittwoch FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum neuen Regierungschef gewählt worden - mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD. Er setzte sich im dritten Wahlgang gegen Bodo Ramelow von der Linken durch. Die Tatsache, dass die rechtspopulistische AfD erstmals einem Ministerpräsidenten ins Amt verhalf, schlägt nicht nur in Deutschlands Medien hohe Wellen.
TAGEBLATT (LU)

Mit einem Faschisten an die Macht

Das Tageblatt ist entsetzt:
„Es ist ein Tabubruch. Gerade die AfD in Thüringen gilt als besonders radikal. Ihr Fraktionschef Björn Höcke ist ein Faschist. Das darf man so sagen, das hat ein Gericht geurteilt. Demnach: Die CDU und die FDP schmieden zusammen mit einem Faschisten und seiner Partei ein Bündnis, um selber an die Macht zu kommen. Der Faschist und seine Partei nennen dieses Bündnis am liebsten 'bürgerliches Bündnis', weil der Faschist und seine Partei sich schließlich selber gerne als 'bürgerliche' Partei bezeichnen. Mit ihrem verantwortungslosen, nur auf kurzfristigen Eigennutz ausgerichteten Handeln haben Konservative und Liberale in Thüringen ihrem faschistischen Partner demnach einen Gefallen von noch unschätzbarem politischem Wert gemacht.“
Armand Back
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RZECZPOSPOLITA (PL)

Die Quarantäne ist aufgehoben

Jetzt kann auch in Deutschland eine rechtspopulistische Partei Fuß fassen, kommentiert Rzeczpospolita:
„Die Entscheidung der Regionalpolitiker der FDP und der CDU wird sich auf die bundesweite politische Landschaft auswirken. Das schwarze Szenario der deutschen Eliten hat sich erfüllt: Die der einwanderungsfeindlichen und euroskeptischen AfD auferlegte Quarantäne ist gebrochen, weil sich die Landespolitiker traditioneller rechter Parteien (CDU und FDP) den Parteizentralen widersetzt haben, welche versprachen, niemals eine Allianz mit der AfD einzugehen. Tatsächlich sind sie diese Allianz sehr schnell und problemlos eingegangen.“
Jerzy Haszczyński
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ZEIT ONLINE (DE)

Skrupellos wie die US-Republikaner

Zeit Online diagnostiziert eine moralische Verrohung der konservativen Eliten:
„Für was steht ein Konservatismus, der mit Höcke kooperiert, um Ramelow wegzubekommen, außer für eine Skrupellosigkeit, die man von den US-Republikanern kennt? Man hatte sich fast schon an die falsche konservative Behauptung gewöhnt, AfD und Linkspartei seien gleichermaßen gefährliche Parteien. Dass CDU und FDP nun indirekt der AfD sogar den Vorzug vor den Linken geben, das ist eine historische Grenzüberschreitung. Man wird womöglich darum kämpfen müssen, ihre ostdeutschen Verbände im Lager der Demokraten zu halten. Beide Parteien stehen zumindest im Osten nicht mehr für die gesellschaftliche Mitte. So einfach und so bitter ist das.“
Christian Bangel
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Das ist Demokratie

Dass Thomas Kemmerich auch mit AfD-Stimmen gewählt wurde, empfindet die Neue Zürcher Zeitung nicht als Makel:
„Das ist Demokratie! Was im Erfurter Landtag stattgefunden hat, ist eine freie Wahl, und darüber hinaus hat ein liberaler und bürgerlicher Kandidat diese Wahl gewonnen. Es gibt keinen plausiblen Grund, das Ergebnis moralisch zu verurteilen. Im Gegenteil, es ist geradezu irritierend, wenn man sieht, wie sich bürgerliche Politiker von der Union und der FDP genieren und sich öffentlich von ihren Thüringer Kollegen distanzieren. Anders läge der Fall, wenn Kemmerich nun mit dem Thüringer AfD-Chef eine Regierung anstreben würde. Aber er hat sich von Björn Höcke und dessen Partei eindeutig und unmissverständlich distanziert. Er peilt in Thüringen eine Minderheitsregierung mit der CDU an. Dass er sich von der AfD wählen liess, um seine politischen Ziele zu verfolgen, ist kein Makel.“
Benedict Neff
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LE TEMPS (CH)

Weder SPD noch Merkel dürfen sich nun verstecken

Politologe Gilbert Casasus erwartet aus Berlin nun klare Reaktionen. Er schreibt auf seinem Blog bei Le Temps:
„In solchen Momenten müssen die Demokraten, die dieser Bezeichnung würdig sind, Größe beweisen. Die Sozialdemokraten müssen damit drohen, auf Bundesebene aus der Koalition mit einer Partei auszusteigen, die sich dafür entschieden hat, ihre Stimmen mit denen der extremen Rechten zu vereinen, sei es auch nur für die Wahl einer Landesregierung. Die SPD sollte an die Öffentlichkeit treten und ihren Koalitionspartner, die CDU, der Unterwerfung unter die AfD beschuldigen. … Erwartungen gibt es aber auch an Angela Merkel. Sie darf nicht schweigen. Tut sie es doch, muss sie sich der weitgehend gerechtfertigten Kritik aussetzen, am 5. Februar 2020 nicht auf der Höhe der Zeit gewesen zu sein, um die Verwundung des Herzens des demokratischen Lebens ihres Landes rechtzeitig anzuprangern.“
Gilbert Casasus

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