„Dialog braucht Raum ohne Raketendonner“ FR 18.3.23
Einen schweren Stand hat er immer, wenn Frieden in Gesellschaften oder zwischen Staaten zerbricht. Was nicht unbedingt heißt, dass pazifistische Positionen auch denunziert werden. Doch was wir gerade erleben, ist eine Diskreditierung des Pazifismus verbunden mit der Dominanz eines militärisch geprägten Sicherheitsdiskurses ...
... und eine unerträgliche Rechthaberei bei all den kalten Kriegern in Politik und Medien ...
... aber durchaus auch bei den Gegenspielern. Der moralische Anspruch, auf der besseren Seite der Geschichte zu stehen, ist eines der zentralen Probleme im gegenwärtigen Diskurs. Diese Haltung zeigt sich ganz oben im Außenministerium ebenso wie in der Zivilgesellschaft. Wenn es zur Kontroverse kommt, wird die andere Seite stets als die weniger gute abqualifiziert. Würden wir akzeptieren, dass dieser Krieg bei uns allen eine ungeheure Erschütterung ausgelöst hat, wären die öffentlichen Debatten vielleicht weniger vergiftet. [...]
Wie bei vielen anderen Gewaltkonflikten hat auch dieser Angriffskrieg seine Ursachen und eine Vorgeschichte der verpassten Chancen für einen neuen europäischen Frieden nach dem Kalten Krieg. Ich habe lange über den Nordirland-Konflikt gearbeitet. Im Rückblick sieht der klein aus gegenüber dem, was wir gegenwärtig erleben. Aber strukturell ist vieles vergleichbar. Nicht zuletzt, dass wir ein großes, (post-)imperiales Land im Konflikt mit einem kleineren erleben, dem bereits blutige Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnliche Kämpfe vorausgegangen sind.
Und welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Dass aus meinem Mitgefühl für die Opfer nicht folgen kann, militärisch für sie Partei zu ergreifen. Meine Sympathien für die Katholiken in Nordirland bedeuteten nicht, die Bewaffnung der IRA zu befürworten. Als Außenstehende sind wir gut beraten, das Spiel nicht mitzuspielen, das der Konflikt vorgibt ...
... was wir mit Waffenlieferungen an die Ukraine tun? Obwohl das Land Opfer der russischen Aggression ist?
Dass Putin der brutale Aggressor und die Ukraine das Opfer ist, steht zweifellos fest. Dennoch bedeutet die Lieferung von Panzern und erst recht die von Kampfflugzeugen eine weitere Eskalation des Krieges. Deshalb sollten wir das nicht tun. Als Kennerin von Dynamiken, die durch Waffen ausgelöst werden, kann ich nur sagen: Kampfjets markieren eine neue Qualität. Sie überfliegen sozusagen die ohnehin problematische Grauzone zwischen Defensive und Offensive.
Dennoch wollen Polen und die Slowakei Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern ...
... während die Rand Corporation – ein einflussreicher US-Thinktank – jetzt für Waffenstillstand und Verhandlungen plädiert. Für mich überschreitet es auch eine Grenze, dass Rheinmetall plant, ein Panzerwerk in der Ukraine zu bauen, damit die deutsche Rüstungsindustrie dort Waffen produzieren kann. Dieter Senghaas, einer der Urväter der deutschen Friedensforschung, hat bereits in den 1970er Jahren beschrieben, wie Rüstungsgüter und -exporte eine Art „Autismus“ entwickeln, der auf ihren Einsatz drängt. [...]
Der Absturz einer US-Drohne über dem Schwarzen Meer jüngst und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Russland und den USA illustrieren das Ausmaß der Risiken weiterer Eskalation: Es ist ein hybrider, zwischenstaatlicher Krieg mit einer sehr starken geopolitischen Komponente. Diese Komponente macht es wahnsinnig kompliziert, den Kriegsverlauf objektiv zu beurteilen, erst recht, Friedensstrategien und -akteure zu identifizieren. Aber umso dringlicher ist es ...
... die Frage zu beantworten, wie die Gewalt beendet werden kann.
Ja, aus pazifistischer Sicht müssen wir einen Konflikt immer von einer möglichen Friedenslösung aus betrachten und nicht nur auf den Kriegsverlauf schauen. Und das heißt auch, dass ab einem bestimmten Punkt alle an den Tisch müssen, die vermeintlich „Guten“ sowie die „Bösen“ – auch das eine Lehre aus anderen Konflikten.
Wer Verhandlungen fordert, dem wird gern das Münchner Abkommen von 1938 entgegengehalten. Tenor: Putin ist gleich Hitler, Verhandlungen würde er nur zur weiteren Aufrüstung nutzen.
Der Vergleich hinkt, denn das Münchner Abkommen wurde vor dem Überfall Hitlers auf Polen geschlossen. Aber klar kann es passieren, dass Russland in einer fragilen, waffenstillstandsähnlichen Situation wieder aufrüstet. Das ist bei Waffenstillständen fast immer so. Dennoch darf man deshalb nicht darauf verzichten, auf eine Waffenruhe zu drängen; Dialog braucht Raum ohne Raketendonner.
Wer sollte denn drängen?
Putin geht es gegenwärtig nicht um die Beendigung des Krieges, Selenskyj aber auch nicht. Wenn das so ist, müssen andere dafür sorgen. Die UN sollten Räume bereitstellen, in denen das globale Interesse an gemeinsamer Sicherheit signalisiert werden kann. Die Initiativen von China, Indien, Brasilien müssen ernster geprüft werden. Zunächst muss es um die Vorstufe zu Verhandlungen gehen, um „Talks about Talks“, in denen Gesprächsinhalte abgesteckt werden. Es gibt ja bereits Gespräche der beiden schwer verfeindeten Parteien – über Getreideabkommen zum Beispiel oder Gefangenenaustausch, also Themen von internationalem und gegenseitigem Interesse. [...]"
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