Mit der knappen Zustimmung des Ministerrats am Montag ist das neue EU-Renaturierungsgesetz definitiv beschlossen. Bis 2030 muss ein Fünftel der geschädigten Ökosysteme in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden, bis 2050 alle. Das Ja wurde nur möglich, weil Österreichs grüne Umweltministerin Leonore Gewessler zustimmte und sich damit gegen die ÖVP von Kanzler Karl Nehammer stellte. Reichlich Anlass zur Debatte.
Alleingang fördert Politikverdrossenheit
Die grüne Ministerin hat erheblichen Schaden angerichtet, kritisiert die Kleine Zeitung:
„Entscheidend im Hier und Heute ist, dass Gewessler vorsätzlich bereit war zum offenen Alleingang gegen die Rechtsansicht des dazu berufenen Verfassungsdienstes. Sie leistet damit den bedenklich zunehmenden Tendenzen Vorschub, beim Klimaschutz sozusagen die Geduld mit dem Rechtsstaat und den umständlichen Koalitionsverhandlungen zu verlieren und nach Gutdünken Ho-Ruck-Fakten zu schaffen. Der Wildwest-Klimaschutz wird ihr gewiss parteipolitisch nützen, denn in grünen Kernschichten hat sie damit ihren Heldenstatus weiter gefestigt: Endlich eine, die etwas tut! Aber der Preis ist hoch. Er besteht darin, dass das ohnehin brüchige Vertrauen der Bürger in die rechtsförmige Verlässlichkeit staatlichen Handelns weiter erodiert.“
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Gefährlicher Präzedenzfall
Die Grünen sollten sich nicht zu sehr freuen, warnt De Morgen:
„Die grüne Freude ist verständlich, aber auch kurzsichtig. Dies ist ein riskanter Präzedenzfall, der die Spielregeln der europäischen Demokratie untergräbt. Werden die Grünen es künftig auch mutig finden, wenn rechte Minister auf eigene Faust in den europäischen Ministerräten für eine harte Migrationspolitik sorgen? Die Freude könnte von kurzer Dauer sein. Denn wer wird die Demokratie noch schützen, wenn nun selbst die Grünen ihr Gewissen über die Spielregeln stellen?“
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Wie du mir, so ich dir
Der Standard findet die Vorwürfe gegen Gewessler konstruiert:
„Ob das Umweltministerium beim Renaturierungsgesetz das Einvernehmen mit dem Agrarressort hätte suchen müssen, ist eine Ermessensfrage. Wird diese Verpflichtung sehr weit ausgelegt, dann müssten Minister ständig die Zustimmung anderer Ministerien einholen, bevor sie in Brüssel eine Entscheidung treffen. … Man kann Gewessler vorwerfen, dass sie in einer juristischen Grauzone ohne Rücksicht auf den Koalitionspartner ihre Ziele verfolgt. Hätte dieser nicht viereinhalb Jahre lang das Gleiche getan, wäre die Kritik gerechtfertigt. Aber so ist sie bloß dem Beispiel der ÖVP gefolgt, als sie die Chance dazu hatte. Und anders als die Grünen erweisen sich die Türkisen als schlechte Verlierer.“
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Symptom für kommende Legislaturperiode
El País fürchtet um Europas Umwelt:
„Die Schwierigkeiten, die das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur hatte, um durchzukommen, zeigen die Hindernisse, die dem Green Deal noch bevorstehen. ... Eine der 'Nein'-Stimmen kam aus den Niederlanden, wo sich die Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) die Ablehnung der EU-Umweltpolitik auf die Fahnen geschrieben hat. ... Die quälende Ratifizierung ist nur ein Symptom für die Legislaturperiode, die nach dem 9. Juni kommen wird, wenn die Rechte vor ihrer extremen Version einknickt. ... Diesen unverantwortlichen Luxus kann sich die EU nicht leisten, denn der Klimawandel ist keine Bedrohung mehr, sondern eine unbestreitbare Realität.“
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Europa trägt hohe Verantwortung
Der Geologe Mario Tozzi lobt die EU in La Stampa, sieht sie aber auch tief in der Schuld:
„Es ist vielleicht das letzte Zeichen, das das alte Europäische Parlament setzen konnte, um den alten Kontinent etwas mehr als nur symbolisch an die Spitze der weltweiten Umweltpolitik zu stellen. ... Es sei daran erinnert, dass die EU derzeit für einen begrenzten Anteil an den klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist (etwa 10 Prozent), dass dies aber nicht die einzige Zahl ist, die es zu berücksichtigen gilt: Wenn wir die kumulierten Kohlendioxidemissionen seit der industriellen Revolution berücksichtigen, können wir deutlich sehen, dass Europa mit 33 Prozent die größte Verantwortung des anthropogenen Klimawandels trägt.“
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Akzeptieren und umsetzen
Die finnische Regierung hatte sich gegen das Gesetz gestellt. Nun sollte sie die Debatte ad acta legen und handeln, fordert Lapin Kansa:
„Die Regierung muss nun ihre Haltung komplett ändern. Anstatt sich dagegen zu wehren, muss sie mit der Ausarbeitung eines Plans beginnen, wie die Renaturierung – die Wiederherstellung des natürlichen Ökosystems – umgesetzt und finanziert werden soll. Wir haben nur zwei Jahre Zeit dafür. Es ist also keine Zeit zu verlieren. ... Obwohl sich die Debatte über die Verordnung auf Finnlands Wälder konzentriert hat, wird der Großteil der Wiederherstellungsmaßnahmen hierzulande wahrscheinlich auf Moore und Gewässer abzielen. Am einfachsten wäre es, mit ehemals entwässerten Mooren zu beginnen.“
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