Interview mit Hans van Ess , FR 2.5.2023
"Kein Denker hat China so geprägt wie Konfuzius (551 bis 479 vor Christus). Noch heute kennt jedes Kind die wichtigsten Aussprüche des Philosophen auswendig, und auch Staats- und Parteichef Xi Jinping zitiert immer wieder seine Lehren. Der Sinologie Hans van Ess hat das Hauptwerk des Konfuzius, die „Gespräche“, nun neu ins Deutsche übertragen. Im Interview erklärt er, warum Xi Angst vor dem Sturz hat – und was das mit Konfuzius zu tun hat. [...]
Es gibt in China eine gewisse Sehnsucht nach Tradition. Es öffnen wieder konfuzianisch geprägte Schulen, und mit den „Gesprächen“ des Konfuzius wächst ohnehin jedes Kind auf. Dem Konfuzianismus entstammt auch das Lernethos, das in China vorherrscht: Wenn du etwas werden willst, dann musst du fleißig arbeiten, anders geht es nicht! Wenn ich in China unterrichte, spüre ich, dass einem dort eine andere Art von Respekt entgegengebracht wird als hier in Deutschland. Ich glaube aber dennoch, dass China kein konfuzianisches Land mehr ist. [...] Vieles, was der Konfuzianismus fordert, hat mit der Lebenswelt der Menschen von heute einfach nichts mehr gemeinsam. Man muss sich nur die konfuzianischen Familienwerte anschauen: In einem Land mit einer derart niedrigen Geburtenrate wie China ist es unrealistisch, sich so um seine Eltern zu sorgen, wie es Konfuzius fordert. Vor ein paar Jahren wurde ein Gesetz veröffentlicht, das Chinesen dazu verpflichtet, ihre Eltern zweimal im Jahr zu besuchen. Dass es so ein Gesetz braucht, zeigt schon, dass es mit der konfuzianischen Kindespflicht nicht mehr weit her ist. [...]
Der Konfuzianismus besitzt allerdings auch ein autoritäres Element: Er propagiert starre gesellschaftliche Strukturen, in denen jedem ein fester Platz zukommt.
Aufgabe des Herrschers ist es folglich, dafür zu sorgen, dass jeder seinen Platz findet, dort zufrieden ist und nach seinen Möglichkeiten etwas zum Allgemeinwohl beitragen kann. Gleichzeitig gibt es im Konfuzianismus das Ideal des kritisch loyalen Beraters, der im Zweifelsfall auch mit brutaler Offenheit seinem Herrscher ins Gesicht sagen muss, wenn er sieht, dass etwas falsch läuft. [...]
Nun hat sich Xi Jinping auf dem Parteitag im vergangenen Oktober allerdings vor allem mit loyalen Jasagern umgeben.
Sich mit Jasagern zu umgeben, das ist das Gegenteil von dem, was Konfuzius gefordert hat. Und es ist auch das Gegenteil von dem, was die Kommunistische Partei eigentlich für sich reklamiert. Chinas Führung zeigt seit Jahren mit dem Finger auf den Westen und sagt: Eure Demokratie funktioniert nicht mehr, weil Menschen in Führungspositionen kommen, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. So konnte China sagen: Unser System ist besser als eures, ein gewisser Autoritarismus ist notwendig. Während der Corona-Pandemie hat man sich bestätigt gefühlt, als im Westen Hunderttausende gestorben sind. Das hat natürlich zu einer gewissen Hybris geführt, und schließlich musste auch China sich öffnen und seine Null-Covid-Politik beenden. [...]"
Die Fragen sind fett gedruckt. (Fonty)
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