"Ich mach mir nichts draus." Wie oft haben die Frauen das vorgespielt, gar auch laut gesagt oder sogar sich auch selbst eingeredet, die jetzt zu Tausenden von sexistischen Kränkungen berichteten, als unter Twitter mit dem Stichwort "aufschrei" ihnen ein Forum geboten wurde, wo sie ihre Erfahrungen im Schutze so vieler Frauen mit ähnlichen Erfahrungen berichten konnten, ohne dass es ihnen unsäglich peinlich war.
Timur Kuran hat sich in seiner Schrift „Leben in Lüge. Präferenzverfälschungen und ihre gesellschaftlichen Folgen“ ausführlich zu diesem Thema geäußert.
Wenn man Ausgrenzung erfahren kann, wenn man seine Meinung sagt, sagt man sie lieber nicht. Da macht man lieber aus seinem Herzen eine "Mördergrube", auch wenn es schwer fällt.
Aber welche Erlösung, wenn man anscheinend die Mehrheit auf seiner Seite hat. Dann bricht es hervor.
Nach außen hin kommt es zu einer Präferenzverfälschung. Man meint, die große Mehrheit würde einen Zustand vorziehen, den sie an sich ablehnt. Einfach deswegen, weil keiner sich traut, es auszusprechen.
In Diktaturen ist ein solches Verhalten normal, weil man die Sanktionen des Regimes fürchtet. Doch auch in Demokratien kann eine solche täuschende Außensicht entstehen. Elisabeth Noelle-Neumann hat solche Phänomene untersucht und daraus ihre Theorie der Schweigespirale entwickelt.
Wie viele von uns haben längst eingesehen, dass mehr Konsum nicht so viel glücklicher macht wie Einschränkung eines gewohnten Konsums unglücklich machen kann? Wie viele glauben auch vierzig Jahre nach Erscheinen von "Die Grenzen des Wachstums" und den sich häufenden Anzeichen eines Klimawandels noch daran, dass auf einer endlichen Erde ein unendliches Wachstum möglich wäre?
Wer aber wird der Forderung nach Wirtschaftswachstum widersprechen, wenn er damit rechnen muss, dass ihm unterstellt wird, er wolle sich auf Kosten anderer bereichern: "Neiddebatte".
Wer wagt da noch zuzugeben, dass es seinen Kindern und Enkeln gern eine bewohnbare Welt hinterließe.
Was für ein "Aufschrei" wird losbrechen, sobald klar wird, dass die anderen auch so denken.
Dann könnte es freilich für ein erfolgreiches Umsteuern schon zu spät sein.
Vgl. auch Leben in Lüge und Interview mit Timur Kuran
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