Aus der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich sind der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) und seine Verbündeten mit rund 33 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervorgegangen. Im Hinblick auf die Stichwahl am Sonntag zogen das zweitplatzierte Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) sowie das drittplatzierte Macron-Lager bereits Kandidaten zurück, um die Chancen des jeweils anderen gegen den RN zu erhöhen.
Demokratischer Notstand
Der Widerstand gegen den Rechtsruck formiert sich, doch bleibt der Ausgang ungewiss, befürchtet La Repubblica:
„Der demokratische Notstand geht direkt von Europa nach Frankreich. Der Sieg der extrem rechten Partei von Marine Le Pen in der ersten Runde der Parlamentswahl veranlasste die Linke und die Zentrumsdemokraten von Macron, zu einer 'republikanische Front' des Widerstands aufzurufen. ... Ziel ist es zu verhindern, dass bei der Stichwahl die EU-feindlichen und Putin-freundlichen Souveränisten eine absolute Mehrheit der Sitze erhalten. Es ist schwer zu sagen, ob das Vorhaben gelingen wird. Nach ersten Hochrechnungen erreichen die Mitte-Links-Kräfte zusammen fünfzig Prozent der Stimmen. Aber die Mechanismen der Stichwahl machen eine Vorhersage schwierig.“
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Politisches und moralisches Dilemma
Frankreich befindet sich in einer Zwangslage, klagt Le Figaro:
„Bei einer Wahl mit zwei Durchgängen ist am Abend der ersten Runde noch nicht alles gesagt. Es kann noch viel passieren, und die Phase zwischen den beiden Wahlgängen wird entscheidend sein. Alles deutet jedoch darauf hin, dass der Rahmen nun feststeht: Die Polarisierung, die sich durch die schwindelerregende Zunahme der Duelle zwischen RN und LFI [La France insoumise vom Linksbündnis NFP] oder ihre Konfrontation bei einer Dreier-Stichwahl zeigt, zeichnet wie mit der Axt eine radikal neue politische Landschaft. Sie stürzt die öffentlichen Verantwortungsträger, aber auch die Wähler in die Qualen eines politischen und moralischen Dilemmas. … Es ist im wahrsten Sinne eine Tragödie, bei der das Schicksal nur schlechte Lösungen anbietet.“
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Extreme Rechte schlagen, egal aus welcher Richtung
El País fordert eine breite Koalition gegen den RN:
„Der Sieg des RN nimmt die Parteien des so genannten 'republikanischen Bogens' in die Verantwortung. Entweder sie schließen sich zusammen, oder sie riskieren, dass eine extrem rechte Regierung antritt. ... Glücklicherweise scheinen sie alle Differenzen überbrücken zu wollen. Präsident Emmanuel Macron rief zu einer 'breiten, klar demokratischen und republikanischen Union' auf. ... Die Sozialistische Partei hat versprochen, die Anti-Le Pen-Stimmen zu bündeln. ... Mélenchon und andere Parteien äußerten sich ähnlich. ... Was auf dem Spiel steht, verlangt von Zentristen und gemäßigten Konservativen, ihre Differenzen auszublenden und denjenigen zu unterstützen, der die extreme Rechte schlagen kann, egal aus welcher Richtung.“
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Macrons große Niederlage
Für The Spectator ist Macron am Ende:
„Nicht nur, weil er sich mit seiner rücksichtslosen Wette auf vorgezogene Neuwahlen komplett verzockt, sondern damit auch seine politische Karriere verspielt hat. Macron kam 2017 allein in das Präsidentenamt und er wird es auch allein verlassen. Die Partei, die er damals hastig und brillant zusammengeschustert hat, ist zerbrochen. Er zahlt nun die gerechte Strafe für seine Arroganz und Verachtung gegenüber Bürgern aller Schichten. Indem er 2017 behauptete, Frankreich von den Gründen zu befreien, die 'extreme Rechten' zu wählen, hat er diese letztlich nur gestärkt, ebenso wie die radikale Linke.“
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Parallelen zur britischen Krise
Le Monde fühlt sich an Großbritannien im Kontext des Brexit-Votums erinnert:
„Die Feindseligkeit gegenüber der Zuwanderung, die als durch die EU-Zugehörigkeit begünstigt betrachtet wurde, war einer der mächtigsten Faktoren der britischen Stimmabgabe, ebenso wie das Gefühl der Vernachlässigung, das mit dem Staatsabbau und der Prekarisierung der Arbeit verknüpft ist. … Alles spielt sich ab, als hätten die vergangenen acht Jahre in Großbritannien in abgemilderter Form das erahnen lassen, was die Franzosen nach dem 7. Juli erwartet: ein zerrissenes Land, das am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht und dessen internationales Ansehen Schaden genommen hat, sowie ein giftiges Kräftemessen mit der EU, eine gefährliche Instrumentalisierung der Zuwanderung und ungehaltene Versprechen, die die Wut nähren.“
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Der ungarische Premier Viktor Orbán (Fidesz), FPÖ-Chef Herbert Kickl aus Österreich und der frühere tschechische Regierungschef Andrej Babiš (Ano) haben sich im Sonntag in Wien getroffen, um gemeinsam ein "patriotisches Manifest" vorzustellen. Sie wollen den Grundstein einer neuen Rechtsfraktion im EU-Parlament legen. Für eine Fraktion sind mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich.
Trump ist das große Vorbild
Der Standard analysiert:
„Um sich durchzusetzen, wollen Kickl, Orbán und Babiš in Straßburg die größte Fraktion kreieren. Ob es gelingt, wird man sehen. Derzeit ist Fidesz fraktionslos, so wie die ANO. Die FPÖ sitzt mit Le Pen in der extrem rechten ID-Fraktion. Mit dieser (und mit der AfD) will aber Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nichts zu tun haben. Sie ist mit den Fratelli scharfe Putin-Kritikerin. Was Le Pen in Straßburg tun wird, hängt von den Wahlen ab. Es könnte im EU-Parlament drei statt zwei Rechtsfraktionen geben. Klar ist aber: So offen haben Orbán, Kickl und Co selten dargelegt, was ihr Ziel ist. Sie streben ein illiberales Europa an – und Donald Trump ist ihr großes Vorbild.“
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Patriotisch und rechts – wirklich?
Reflex analysiert die drei Gründungsgruppierungen und zweifelt deren Selbstbeschreibung an:
„Patriotismus ist bei Andrej Babiš kaum vorstellbar. Was ist das in seinem Fall? Vielleicht könnte er die tschechische Nationalhymne singen und wir werden sehen, ob er überhaupt den Text kennt. Auch die Aussage, dass es sich um eine 'rechte Gruppe' handelt, ist verrückt. Was ist rechts? Einige der wirtschaftspolitischen Vorschläge aller drei Parteien sind eher linksgerichtet. Und die Ano-Bewegung hat überhaupt nichts mit der Rechten zu tun. Sie ist rein populistisch und trifft Entscheidungen nur auf der Grundlage dessen, was sie in der Öffentlichkeit hört oder in sozialen Netzwerken auffängt.“
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Rache und Spaltung
Viktor Orbán könnte das Vertrauen seiner potenziellen Partner verspielen, meint Népszava:
„Nicht nur der 'Mainstream' Europas vertraut dem Regierungschef Ungarns nicht, sondern auch diejenigen, die er als seine Verbündeten bezeichnet hat. Dadurch, dass er eine eigene Fraktion schaffen möchte, würde er gerade die größeren populistischen Parteienfamilien, die Souveränisten, schwächen. Während er sich im EU-Wahlkampf die Schaffung eines großen rechten Blocks als Ziel gesetzt hat, zerschneidet er nun die Rechtsaußen-Kräfte weiter – vielleicht aus Rache dafür, dass [seine Partei] Fidesz nicht in Giorgia Melonis EKR-Fraktion aufgenommen wurde.“
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Endlich Gehör verschaffen
Für die der ungarischen Regierungspartei Fidesz nahestehende Magyar Nemzet wird das neue Bündnis die starke Stimme der Souveränisten:
„Höchste Zeit, Klartext zu reden: Man kann die Situation nicht hinnehmen, dass in Tschechien, in Österreich, in Ungarn und in vielen anderen Ländern die Souveränisten die Wahlen gewinnen oder stärkste Kraft sind, sie aber im Europäischen Parlament nicht ihre Meinung frei äußern dürfen. Die neue Fraktion, die gestern gegründet wurde - und der sich bald Unterstützer aus weiteren Ländern anschließen könnten - steht in dieser Hinsicht wirklich auf der Seite der Wahrheit.“
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