Donnerstag, 16. Mai 2024

euro|topics: Wo steht Europa vor der EU-Wahl?

350 Millionen wahlberechtigte Europäerinnen und Europäer aus 27 Ländern wählen in rund einem Monat das EU-Parlament. Angesichts eines erwarteten Rechtsrucks und gigantischer Herausforderungen unter anderem in der Sicherheits- und Klimapolitik blickt die Presse skeptisch auf die kommende Legislaturperiode.

AVVENIRE (IT)

Noch nie so unschlüssig

Die EU ist vor allem ein großer Widerspruch, klagt Avvenire:

„Man kann Europa lieben, aber Angst vor Brüssel haben. Man kann von einem Kontinent der Soft Power träumen, aber nationalistische und regionalistische Impulse tolerieren; sich vereint fühlen, aber dennoch zu unterschiedlich; supranationale Regeln anstreben, aber zögern, das gemeinsame Gebäude zu vollenden; den Binnenmarkt schätzen, aber dem Euro misstrauen; vom Abbau der Binnengrenzen profitieren, aber ihre Abschaffung fürchten; sich ein Ende der Kriege wünschen, aber international keine gemeinsame Richtung einschlagen. … Die Europäer waren vielleicht noch nie so unschlüssig wie heute.“

Marco Impagliazzo
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EL PERIÓDICO DE CATALUNYA (ES)

Große Erfolge, große Herausforderungen

Sergi Barrera vom EU-Büro in Barcelona blickt in El Periódico de Catalunya zurück und voraus:

„In der schwierigen Legislaturperiode, die hinter uns liegt, konnte das EU-Parlament 450 Gesetze verabschieden, darunter das weltweit erste über künstliche Intelligenz, den neuen Migrations- und Asylpakt, die grüne Agenda oder die Kopplung europäischer Mittel an die Rechtsstaatlichkeit. ... Die Herausforderungen der Zukunft sind enorm: die Verteidigung der Demokratie, Fortschritte in der Verteidigungspolitik, die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, das Tempo beim Kampf gegen den Klimawandel, die Erweiterungspolitik. ... In einem Monat müssen wir entscheiden, welche Art von Europa wir in dieser instabilen, komplexen Welt wollen.“

Sergi Barrera
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EXPRESSEN (SE)

Meinungen dürfen nicht zu Fake News gemacht werden

In der EU unterstützt die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) die Bekämpfung von Desinformation. Expressen warnt:

„Das Risiko besteht darin, dass der Kampf gegen Verschwörungstheorien selbst zu einer Verschwörungstheorie wird, in der Nordländer, die gegen Windkraftanlagen protestieren, mit Putin-Trollen in einen Topf geworfen werden und alle Schwachköpfe, die in jeder Debatte irgendeinen Ton anschlagen, als echte Sicherheitsbedrohung statt als störendes Element dargestellt werden. ... Aber eine offene Gesellschaft muss tolerant sein. Selbstverständlich müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Demokratie vor russischen Operationen, Spionage und Unterwanderung schützen. Aber freie Meinungsbildung ist eine Grundlage der Demokratie und keine Bedrohung für sie.“

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GLAVKOM (UA)

Vom Ende der Angst

Die europäische Sicherheitspolitik hat sich in den vergangenen Jahren tiefgreifend verändert, analysiert Glavkom:

„Die Angst vor der nuklearen Erpressung ist nicht mehr da. Die Phase des grundsätzlichen Widerwillens, die Beziehungen zum Kreml zu belasten, ist vorbei. Vorbei ist das Streben danach, eine Eskalation um jeden Preis vermeiden zu wollen und Russland in keiner Weise zu provozieren ... Das Fundament ist gelegt für eine ganze Reihe von Entscheidungen, die zuvor als unzulässig galten. … Es geht um die Beschlagnahmung von Erträgen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten, um Langstreckenwaffen, um die Unterstützung von Angriffen auf die kritische Infrastruktur der russischen Waffenindustrie, um Militärkontingente und einen 'Atomzaun' entlang der Grenzen zu Russland.“

Olexij Holobuzkyj
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Wie sollte sich Europa gegenüber China positionieren?

 https://www.bpb.de/themen/europawahlen/dossier-europawahlen/547892/wie-sollte-sich-europa-gegenueber-china-positionieren/ 30.4.24:

Bei den Debatten zu China vermischen sich in Europas Kommentarspalten die Ängste vor wirtschaftlicher und geopolitischer Dominanz der wachsenden Supermacht in Fernost.

Wenn in den Wochen nach der EU-Wahl die europäischen Fußballnationalmannschaften in der in Deutschland ausgetragenen EM gegeneinander antreten, wird sich als Externer Link:Hauptsponsor nicht – wie vielleicht zu erwarten – Volkswagen auf den Fernsehbildschirmen präsentieren, sondern der chinesische Autobauer BYD. Und die frisch gewählten Abgeordneten des EU-Parlaments und später die neue Kommission werden sich nicht nur mit der Wirtschaftsmacht Chinas auseinandersetzen müssen. Auch sicherheitspolitisch wird das Verhältnis zu China eine wichtige Rolle spielen. 

Montag, 29. April 2024

Was über Stuttgart 21 weiterhin verschwiegen wird, aber bekannt werden sollte

"Bei einem Brand könnten die Tunnel von Stuttgart 21 für Tausende Menschen zur Todesfalle werden. Darauf weisen Kritiker seit vielen Jahren hin – vergeblich. Die Verantwortlichen mauern, vertuschen, täuschen und verschleudern Unsummen mit juristischen Spiegelfechtereien. Das Projekt sei aus Kostengründen gemeingefährlich, findet Dieter Reicherter vom Aktionsbündnis gegen S21. 

Die Prüfer prüften nicht richtig, keiner prüfe die Prüfer und die Justiz verschanze sich hinter Paragraphen, beklagt der ehemalige Richter im Interview mit den NachDenkSeiten. Dabei schreckten im Katastrophenfall selbst die Retter vor einem Einsatz zurück. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.

Zur Person

Dieter Reicherter, Jahrgang 1947, war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2010 an verschiedenen Stationen in Baden-Württemberg als Staatsanwalt und Richter tätig, zuletzt war er Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart. Unter dem Eindruck eines brutalen Polizeieinsatzes bei einer Demonstration gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 im Herbst 2010 trat er dem Widerstand gegen S21 bei und ist heute Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21.

Herr Reicherter, vor knapp zwei Wochen hat die Deutsche Bahn (DB), in Gestalt der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH (PSU), einen juristischen Sieg davongetragen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart gab deren Klage gegen die von der Gegenseite verlangte Zwangsvollstreckung zur Freigabe einer Entfluchtungssimulation bezüglich eines Unglücksfalls im Fildertunnel – dem mit neun Kilometern längsten Zulauf zum künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof – statt. Die Ingenieure22, eine dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 nahestehende Gruppe projektkritischer Fachleute unterschiedlichster Disziplinen, hatten fast acht Jahre lang vor Gericht um deren Herausgabe gekämpft. Man könnte sagen, das war für die Katz, weil das begehrte Material gar nicht existiert beziehungsweise nicht mehr. Deshalb auch der Richterspruch zugunsten der Bahn. Was ist da schiefgelaufen?

Die PSU selbst hatte die Simulationen nie und die von ihr beauftragte Schweizer Firma Gruner AG hatte sie mit ihrer Zustimmung schon gelöscht, bevor die Ingenieure22 überhaupt einen Antrag auf Einsichtnahme gestellt hatten. Wer nichts hat, kann nichts zeigen und muss nach dem Umweltinformationsgesetz die Einsichtnahme mit dieser Begründung ablehnen. Dagegen hat die PSU verstoßen und sinnlose Prozesse verursacht.

Was hat es mit dieser Simulation auf sich?

Nach den einschlägigen Vorschriften hätte die Bahn schon im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nachweisen müssen, dass sie für die Evakuierung in den Tunnelröhren ein taugliches Rettungskonzept hat. Im Arbeitskreis Brandschutz, dem außer der Bahn das Regierungspräsidium Stuttgart und die Stuttgarter Feuerwehr angehören, geht es um solche Fragen. Dort berichtete die PSU am 22. Januar 2014, Simulationen der Firma Gruner hätten die Berechnungen der Bahn bestätigt. Demnach könnten 1.757 Menschen aus einem vollbesetzten Zug im Notfall in circa elf Minuten aus einer Tunnelröhre evakuiert werden. Tatsächlich gab es diese Simulationen noch gar nicht. Die Computerdurchläufe zogen sich bis März 2014 hin und der Bericht mit der Auswertung wurde erst Ende Juni 2014 fertiggestellt.

Allerdings wollte PSU nicht mit den Ergebnissen herausrücken, was schließlich jahrelang die Gerichte beschäftigte (siehe dazu NDS-Beitrag „Tunnel-Schummel“ vom 4. Februar 2022). Wie hat die Bahn ihr Vorgehen begründet?

Wie in allen derartigen Verfahren kam das Argument, eine Einsichtnahme gefährde die Sicherheit von Bahnanlagen. Dies wurde vor Gericht vertieft mit ausführlichen Darstellungen zu Terroranschlägen. Vereinfacht gesagt wurde unterstellt, die Ingenieure22 könnten Erkenntnisse an Terroristen weitergeben. Und immer ging es vornehmlich um Brände. Das alles lag total daneben, weil die PSU die ganzen Jahre gar keine Simulationen hatte. Mit ihren falschen Behauptungen hat sie jahrelang Richterinnen und Richter getäuscht. Das ging so weit, dass sie sich sogar beim Verwaltungsgerichtshof im Dezember 2019 verpflichtete, endlich Einsicht zu gewähren, und danach vier Jahre fälschlich behauptete, den Vergleich erfüllt zu haben. Die jetzige Klärung war für sie ein Pyrrhussieg, denn die Glaubwürdigkeit der Bahn ist dahin. Zudem hat sie selbst bewiesen, keinerlei Nachweise für eine erfolgreiche Evakuierung zu haben. Offenbar diente der falsche Prozessvortrag der Vertuschung.

Das alles nährt natürlich den Verdacht, die Simulation könnte die behaupteten Ergebnisse gar nicht geliefert haben, weshalb man sie der Öffentlichkeit auch nicht zumuten wollte. Woran machen Sie das fest?

Da wir die Simulationen nie zu Gesicht bekommen haben, kann man lediglich aufgrund des Berichts vom Juni 2014, in dem einige Parameter angegeben sind, Rückschlüsse ziehen. Demnach hat man unter anderem die Gehgeschwindigkeit der Flüchtenden zu schnell angesetzt und Mobilitätseingeschränkte, die auf den schmalen Rettungswegen nicht überholt werden können, nicht berücksichtigt. Realistische Parameter führen zum Ergebnis, dass sich bei schneller Rauchausbreitung die meisten Betroffenen nicht retten können und den Tod finden. 

[...]"


 Ein Artikel von Ralf Wurzbacher 

EU-Wahlkampfauftakt

 Zeit  (FDP)

Tagesschau 1  (FDP)

taz (Grüne)

Deutschlandfunk (SPD)

Tagesschau 2 (AfD)

ZDFheute (CSU)



euro|topics : Rechtsaußen auf dem Vormarsch?

Knapp sieben Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni sagen Umfragen einen markanten Stimmenzuwachs bei den rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien der Fraktion ID (Identität und Demokratie) voraus: Sie könnten zusammen mit der Fraktion EKR (Europäische Konservative und Reformer), zu der auch die Fratelli d'Italia gehören, auf über ein Fünftel der Sitze kommen. Kommentatoren erörtern mögliche Folgen.

REPUBLICA.RO (RO)

Vor der Wahl ist nicht nach der Wahl

Die konservative EVP könnte künftig mit den Rechtsaußenparteien gemeinsame Sache machen, befürchtet republica.ro:

„Offiziell hält die EVP an der Idee eines Cordon sanitaire fest, um die Rechtsextremen im EU-Parlament zu isolieren. Abseits der Öffentlichkeit bereiten sich die EVP-Abgeordneten, die sich sicher sind, dass sie ein neues Mandat bekommen werden, bereits darauf vor, mit den Rechtsextremen in mehreren Bereichen zusammenzuarbeiten, auch ohne formelle Vereinbarungen. So ist es nunmal in der Politik: Das eine ist, was man den Wählern erzählt, um Stimmen zu bekommen, das andere ist, was man tut, um seine Macht zu festigen, nachdem das Volk einem ein neues Mandat erteilt hat.“

Marco Darius Badea
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DER SPIEGEL (DE)

Im Teufelskreis

Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome schwant nichts Gutes:

„Regierungsfähig wären sie [die Anti-Europäer] nie und nimmer, blockadefähig aber schon. ... [D]ie pro-europäische Parteien [werden] bei Klima, Sozialem und Wirtschaft die alten, wiewohl sehr lebendigen Differenzen zwischen den Rechts-Links-Lagern überbrücken müssen, um im parlamentarischen Alltag mit den Anti-Europäern zu bestehen. Die AfD-Strategen erhoffen sich gerade davon weiteren Zulauf der Genervten und Enttäuschten – und am Ende eine ebenso geschichts- wie gedankenlose Mehrheiten (sic) für Parteien, die keine Wahlen zum Europäischen Parlament mehr wollen. Darum ist es, wie es ist, tragisch nämlich: Diese Europa-Wahl könnte tödliches Gift für die nächste sein.“

Nikolaus Blome
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DEUTSCHE WELLE (BG)

Souveränismus schlecht für Bulgarien

Die europaskeptischen und rechtsextremen Parteien wollen die EU von innen aushöhlen, schreibt der bulgarische Dienst der Deutschen Welle:

„Auf dem Papier akzeptieren sie ihre Strukturen und Regeln und nutzen sie, um sie von innen heraus zu zerstören – unter dem Vorwand, dass man es besser machen will. Aber selbst wenn wir davon ausgehen, dass dies kein Vorwand ist, sondern eine innere Überzeugung der Politiker dieser Parteien, sollten wir uns etwas ganz Grundsätzliches fragen: Wird diese 'bessere EU' souveräner Staaten weiterhin so großzügig zu Bulgarien sein? Nein, das wird sie nicht.“

Alexander Andreev
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EXPRESSEN (SE)

Stabile Mitte-Mehrheit war einmal

Der schwedischen EVP-Abgeordneten Sara Skyttedal wurde von ihrer Partei Redezeit und Unterstützung entzogen, seit bekannt wurde, dass sie im Juni für ein neues, EU-skeptisches Wahlbündnis antreten wird. Expressen ordnet dieses Durchgreifen so ein:

„Die Fraktionsvorsitzenden waren in der Vergangenheit selten strikt. Es gab Raum dafür, 'mit dem Herzen abzustimmen'. Das liegt aber daran, dass die großen Parteigruppen der Mitte (gemeinsam) bisher über eine stabile Mehrheit verfügen. ... Das ändert sich. Die Machtverhältnisse im Parlament sind bereits im Fluss. Nach den Wahlen im Juni, bei denen ein starker Aufschwung der extremen Rechten erwartet wird, wird es wahrscheinlich noch volatiler. So sieht sich die EVP-Fraktion gezwungen, in ihren eigenen Reihen hart durchzugreifen, um wichtige Entscheidungen durchzusetzen.“

Ylva Nilsson
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IQ (LT)

Längst nicht mehr randständig

In IQ vergleicht Kotryna Tamkutė, Kommunikationschefin des liberalen Thinktanks Lithuanian Free Market Institute, das Super-Wahljahr mit den Olympischen Sommerspielen:

„Die Analysten der schwedischen Denkfabrik Timbro haben errechnet, dass die Unterstützung für populistische Kräfte im Jahr 1950 bei etwa 10 Prozent lag. Bis 2023 stieg dieser Wert auf 27 Prozent. ... Wenn alle politischen Akteure diesen Sommer an der Eröffnung der Olympischen Spiele teilnähmen, würde ein Viertel von ihnen unter dem Banner der Populisten antreten. Auch die Wahlen [in europäischen Staaten] im vergangenen Jahr haben noch einmal bestätigt, dass wir in Zeiten leben, in denen das Wort Populismus nicht mehr nur ein Begriff, sondern eine Realität der politischen Ordnung ist.“

Kotryna Tamkutė
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