Mittwoch, 16. Oktober 2024

euro|topics: Italien lagert erste Asylverfahren nach Albanien aus



Italien hat das erste Schiff mit Migranten nach Albanien geschickt. Die Asylanträge der 16 Männer aus Ägypten und Bangladesch sollen dort in Aufnahmezentren im Schnellverfahren geprüft werden. Das sieht ein im vergangenen Jahr zwischen Rom und Tirana vereinbartes Abkommen vor. Kommentatoren beleuchten, was das für Europa bedeutet.

La Vanguardia (ES)

Abschottung hat Konjunktur

La Vanguardia erkennt eine europaweite Wende:

„Die EU-Kommission will jetzt die Abschiebevorschriften verschärfen und bewirbt das umstrittene Modell, das Italien mit Albanien vereinbart hat, als 'innovative Lösung'. ... Von der Leyen setzt sich für Abkommen mit 'sicheren Drittstaaten' ein, wie sie mit Tunesien und Ägypten bestehen, und blickt auf Libyen, Algerien und Mauretanien. Mit der Türkei hat die EU seit 2016 ein Abkommen. ... Die Verlagerung zu härteren Maßnahmen zeigt sich auch in den von immer mehr Ländern getroffenen Entscheidungen. Angefangen bei den Grenzkontrollen in Frankreich und Deutschland bis hin zur vorübergehenden Aussetzung des Asylrechts in Finnland und Polen. Die Ablehnung der Migration geht um in Europa.“

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Süddeutsche Zeitung (DE)

Beweis europäischer Hilflosigkeit

Das italienische Modell darf nicht zum Vorbild werden, warnt die Süddeutsche Zeitung:

„Wer die Bilder des Hauptlagers im Dorf Gjadër sieht, in denen jetzt Menschen auf Monate weggesperrt werden, bis über ihr Schicksal entschieden ist, dem kann es nur grausen. Europa hat sich an Flüchtlingsheime gewöhnt, in denen Menschen lange Zeit ohne sichere Perspektive hausen müssen, aber dies hier hat eine andere Dimension. Das streng abgeschirmte Lager sieht aus wie ein Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher. Nagelneu, aber unwirtlich, kalt und herzlos. Da klingen die Worte des italienischen Innenministers wie Hohn: Es sei ja schließlich kein Stacheldraht verbaut. Albanien kann nicht die Lösung sein. Es ist der bildhafte Beweis europäischer Hilflosigkeit und Unmenschlichkeit.“

Marc Beise
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La Repubblica (IT)

Auf Kosten der Steuerzahler

La Repubblica wirft Rom Kolonialismus gegenüber Albanien vor:

„Seit den Tagen des Außenministers Galeazzo Ciano [der Regierung Mussolini] übt das Land der Adler eine unwiderstehliche Faszination auf die italienische Rechte aus, die sich nun rühmen kann, wieder einmal ein kleines Stück der anderen Seite der Adria italienisiert zu haben. Diese Rückkehr zum alten Kolonialismus geht natürlich auf Kosten der italienischen Steuerzahler. ... Die Opposition spricht von einer Milliarde, andere Recherchen von 600-650 Millionen Euro für ein Abkommen, das zehn Jahre dauern soll. Wenn [Finanz-] Minister Giorgetti bei seiner Ausgabenüberprüfung Ratschläge zur Kürzung unnötiger Ausgaben wünscht, könnte er sein Fernglas in Richtung Tirana richten.“

Francesco Bei
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El País (ES)

Gesellschaft verroht

El País ist entsetzt:

„Seit einigen Monaten kann man jeden Unsinn über Einwanderer sagen, ohne dass jemand mit der Wimper zuckt. Wir haben sogar gehört, dass die Meloni-Methode funktioniert und es wünschenswert wäre, sie in Spanien nachzumachen. Wirklich? Italien hat nichts anderes getan, als die Rettung schiffbrüchiger Einwanderer zu behindern, die eigenen Häfen zu schließen, um die Route der Überfahrten in Richtung Kanarische Inseln umzulenken, und im benachbarten Albanien Auffanglager zu errichten. ... Nachbarländer, die bei den Menschenrechten noch skrupelloser sind als wir, machen ein Geschäft damit, zu einem undankbaren und gewalttätigen Wartesaal zu werden. ... Das Ergebnis unserer Gleichgültigkeit wird eine gewalttätigere und herzlosere Gesellschaft sein.“

David Trueba
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Dienstag, 15. Oktober 2024

euro|topics: Stürme in den USA werden zum Politikum

 

Hurrikan Milton ist über Florida hinweggezogen, hat aber weniger Schäden angerichtet als zunächst befürchtet. Vor zwei Wochen verheerte schon Hurrikan Helene den Südwesten der USA. Europas Medien erörtern, wie sehr diese extremen Wetterereignisse den Wahlkampf ums Weiße Haus beeinflussen - und wie sehr sich dabei Politik und Katastrophenschutz vermischen.

Diena (LV)

Swing States besonders betroffen

Regionale Wetterereignisse können weiträumig Politik beeinflussen, so Diena:

„Hätten Helena und Milton nur Florida getroffen, könnte das Weiße Haus dies überstehen, denn dieser Staat wird die Demokraten nicht unterstützen. Aber betroffen sind auch Nachbarstaaten, von denen zwei (beide Male die am schwersten beschädigten) – Georgia und North Carolina – das Schicksal der Präsidentschaftswahlen entscheiden werden, weil sie Swing States sind. Offensichtlich werden aufgrund des Kampfes um die Wähler dieser Staaten und um die Wirksamkeit von Trumps Behauptungen zu verringern, übereilte innen- und außenpolitische Schritte unternommen. Der sichtbarste davon ist die Absage des Treffens zur Unterstützung der Ukraine in Ramstein.“

Andis Sedlenieks
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Le Temps (CH)

Die Zeichen stehen auf Sturm

Wahlen in der Hurrikansaison akzentuieren Amerikas politische Spaltung in der Klimapolitik, analysiert Le Temps:

„Wenn es ein Land gibt, das in der Lage sein sollte, diesen extremen Wetterereignissen standzuhalten, dann sind es die USA. Dennoch werden die Fähigkeiten der größten Weltmacht durch diesen Höllenreigen auf eine harte Probe gestellt, da die Hurrikansaison noch bis Dezember andauern wird, also bis nach den Wahlen am 5. November. ... In dieser für den Planeten existenziellen Frage klafft zwischen den beiden politischen Lagern ein Abgrund. Donald Trump leugnet die globale Erwärmung. ... Während sie darum beten, von Milton verschont zu werden, täten die Bewohner Floridas gut daran, im November ihre Stimme abzugeben, damit der republikanische Hurrikan nicht ins Weiße Haus zieht.“

Simon Petite
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The Times (GB)

Politische Schäden noch verheerender

Die Folgen von Milton könnten den Ablauf der Präsidentschaftswahl beeinflussen, befürchtet The Times:

„North Carolina ist einer der sieben entscheidenden Swing States, die den Ausgang der Wahl bestimmen werden. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Trump verliert in dem US-Bundesstaat wegen ein paar tausend Stimmen, so wie er im Jahr 2020 in anderen Bundesstaaten verlor. Es stellt sich heraus, dass North Carolina der Schlüsselstaat ist, der Kamala Harris den Sieg beschert. Tausende Trump-Anhänger in abgelegenen Gebieten behaupten, sie hätten nicht wählen können, weil sie ihre Häuser, Besitztümer und den Zugang zu Wahlmöglichkeiten verloren hätten. Der politische Sturm könnte dann noch verheerender sein als der meteorologische.“

Gerard Baker
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Yeni Şafak (TR)

Alle wollen von Milton profitieren

Beide politischen Lager wollen den Hurrikan für sich nutzen, heißt es in Yeni Şafak:

„Während die Republikaner behaupten, dass die Regierung bei der Hilfe diskriminiert, versuchen die Demokraten zu zeigen, dass sie alle Ressourcen des Staates mobilisieren. Es gibt Beispiele dafür, dass eine starke Reaktion auf zerstörerische Auswirkungen von Stürmen sich bei Wahlen positiv auswirken kann. Obamas Auftritt nach dem Hurrikan Sandy vor den Wahlen 2012 ist ein Beispiel für so eine positive Oktober-Überraschung. Es gab sympathische Bilder mit Obama und dem damaligen republikanischen Gouverneur von New Jersey, Chris Christie. Obama signalisierte damit, dass die Bundesregierung den Auswirkungen des Hurrikans große Aufmerksamkeit schenkte.“

Kadir Üstün
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Új Szó (SK)

Desinformation gefährdet bereits Menschenleben

Új Szó wirft den US-Republikanern vor, den Hurrikan schamlos für Wahlkampfzwecke zu nutzen:

„Selbst lokale republikanische Führungskräfte, die vor Ort im Einsatz sind, sind besorgt über die Desinformationskampagne, die auf Bundesebene von ihrer eigenen Partei geführt wird. ... US-Kampagnen sind oft ein Indikator für Wahlkampftechniken und Methoden, die in den kommenden Jahren in Europa zu erwarten sind. Es wäre sehr zu hoffen, dass ein solches Maß an nicht mal auf Menschenleben Rücksicht nehmender Polarisierung unseren Politikern entgeht.“

Botond Feledy
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Stürme in den USA werden zum Politikum