Dienstag, 5. November 2024

euro|topics: Was bedeuten die US-Wahlen für Europa?

Am heutigen Dienstag entscheiden die Bürgerinnen und Bürger der USA, ob sie Kamala Harris oder Donald Trump an der Spitze ihres Landes haben wollen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen werden zudem sämtliche Sitze des Abgeordnetenhauses sowie rund ein Drittel des Senats neu besetzt. Dass dabei auch für Europa viel auf dem Spiel steht, zeigt ein Blick in die Kommentarspalten des Kontinents.

De Volkskrant (NL)

Auch schlechte Vorbilder wirken ansteckend

De Volkskrant sieht den Rechtsstaat auf der Kippe:

„Trump bedroht massiv die Idee von Freiheit und Verantwortung. Der Mann, der seine Anhänger 2021 ermutigte, das Kapitol zu erstürmen, hat bereits gesagt, dass er eine erneute Wahlniederlage nicht akzeptieren werde. Es liegt schon die Blaupause vor, um den Staatsapparat zu säubern. Er will politische Gegner verfolgen lassen. Mit seinem Sieg wird Amerika ein autoritäres Gesicht bekommen. Das ist nicht nur eine schlechte Nachricht für die Amerikaner. Auch dieses Amerika kann Vorbild sein für andere westliche Demokratien.“

Michael Persson
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The Economist (GB)

Randalierer im Zaum halten

The Economist hofft, dass es nach der Wahl halbwegs friedlich bleibt:

„Warnungen vor einem bevorstehenden Bürgerkrieg sind eindeutig übertrieben. Selbst weit verbreitete Gewalt scheint unwahrscheinlich. Aber Unregelmäßigkeiten und einige wenige schlimme Vorfälle sind wohl unvermeidlich. ... Insgesamt scheint die Polizei aber vorbereitet zu sein. Und die Wahlbeamten haben Maßnahmen, wie Live-Übertragungen von Wahlurnen ergriffen, um Vertrauen aufzubauen. Die Botschaft, dass man politische Gewalt streng bestrafen wird, wäre hilfreich. Leider macht Trump genau das Gegenteil, indem er seinen Anhängern verspricht, die Randalierer vom 6. Januar im Falle seiner Wiederwahl zu begnadigen. Solange Gewalt nicht entschieden verurteilt wird, ist sie nicht auszuschließen.“

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La Stampa (IT)

Vielleicht hilft der EU eine Ohrfeige

Warum manche Analysten hoffen, dass die Wahl von Trump die EU pushen könnte, erklärt La Stampa:

„Die Ohrfeige, die die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus verursachen würde, könnte paradoxerweise eine positive Wirkung auf die EU haben. Genau wie die großen Krisen der letzten Jahre, die die Union in gewisser Weise geschmiedet und gestärkt haben, angefangen mit Covid, das - mit der Einführung des Aufbauplans Next Generation EU - eine gemeinsame Reaktion auf die Wirtschaftskrise und mit der gemeinsamen Beschaffung von Impfstoffen auf die Gesundheitskrise begünstigte. Dies ist sicherlich eine optimistische Sichtweise, aber mehrere Analysten sind davon überzeugt, dass der durch Trumps Rückkehr verursachte Elektroschock der EU den nötigen Ruck geben könnte, um die richtigen Schritte in Richtung einer stärkeren Integration zu unternehmen.“

Marco Bresolin
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El País (ES)

Auch Harris' Sieg birgt ein großes Risiko

Unabhängig vom Wahlausgang drängt für Europa die Zeit, mahnt El País:

„Ein Sieg von Harris wäre eine große Erleichterung. Genau in dieser Erleichterung läge aber auch eines der Risiken für Europa: Selbstgefälligkeit angesichts dringend notwendiger Reformen, egal ob Harris oder Trump gewinnt. Die EU ist extrem schwach, mit halb gelähmten Regierungen in wichtigen Hauptstädten (Berlin, Paris, Madrid) und anderen in Händen der extremen Rechten. In einem solchen Kontext ist es schwierig, voranzukommen, und ein Harris-Mandat könnte – bewusst oder unbewusst – ein falsches Gefühl von zeitlicher Verfügbarkeit vermitteln. Die EU verliert den globalen Wettbewerb. Sie muss in der Welt auf eigenen Füßen stehen und mit einer eigenen Stimme sprechen.“

Andrea Rizzi
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Pravda (SK)

Veraltetes Wahlsystem

Pravda hält das US-Wahlsystem für dringend reformbedürftig:

„Das Zweiparteiensystem schließt nicht nur andere Kandidaten auf undemokratische Weise aus, sondern es erlaubt den Bürgern auch nicht, den Präsidenten direkt zu wählen. In jedem Bundesstaat erhält der Gewinner alles. Über den amerikanischen Präsidenten entscheiden somit die sogenannten unentschlossenen Staaten, genauer gesagt einige Bezirke in ihnen. Ist das normal? Sollten die Amerikaner nach 240 Jahren nicht das Wahlsystem reformieren und an moderne Zeiten anpassen? Wie kann die Welt von einem Land dominiert werden, in dem die Bürger den Präsidenten (die Regierung) nicht direkt wählen können oder wo ein Kandidat Präsident wird, der von weniger Menschen gewählt wurde als sein Gegner?“

Igor Daniš
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Mittwoch, 30. Oktober 2024

Marcus Jauer: Ostdeutschland: Der Traum von einer besseren DDR

 Marcus Jauer: Ostdeutschland: Der Traum von einer besseren DDR 

ZEIT, 29.10.24

Wer das politische Drama der Ostdeutschen verstehen will, muss auf den 4. November 1989 schauen: den Tag, an dem auf dem Alexanderplatz in Berlin "das Volk" seine Zukunft selbst in die Hand nehmen wollte.[...] 

Wären die Ostdeutschen in einem eigenen Staat womöglich glücklicher geworden?

Eine hypothetische Frage, aber betrachtet man sie vom 4. November aus, wirkt der Herbst 1989 wie ein aus freien Stücken abgebrochener Versuch der Selbstbestimmung. Die DDR-Bürger gingen in den Westen, in der Annahme, sie würden Deutsche werden, stattdessen wurden sie Ostdeutsche. Statt eines vereinten Landes entstand im Osten eine Identität, die sich in Abgrenzung zum Westen begreift und in Wirklichkeit eine Sackgasse ist. In einer Demokratie, in der die Mehrheit entscheidet, ist man, solange man sich vor allem als Ostdeutscher begreift, strukturell stets in der Minderheit.

Die verschiedenen Parteien, mit denen die Ostdeutschen die politische Landschaft der gesamten Bundesrepublik verändert haben, angefangen von der PDS über die AfD bis zum Bündnis Sahra Wagenknecht, wären so gesehen ein Versuch, die eigenen Angelegenheiten wieder in die Hand zu bekommen, ohne in einem eigenen Staat zu leben. In dieser merkwürdigen Doppelexistenz liegt die geschichtliche Tragik des Ostdeutschen – ein Zuwanderer zu sein, der auf seinem eigenen Territorium geblieben ist und doch in dem Gefühl lebt, seine Heimat verloren zu haben."

Eine bedenkenswerte Sicht auf die Geschichte Ostdeutschlands.

Gelungene Formulierungen, die freilich nur einen Teil der heutigen Wirklichkeit treffen.

"In einer Demokratie, in der die Mehrheit entscheidet, ist man, solange man sich vor allem als Ostdeutscher begreift, strukturell stets in der Minderheit." 

Als Bayer, der sich vor allem als Bayer begreift,  ist man nicht "strukturell stets in der Minderheit", sondern als Christdemokrat Teil einer relativen Mehrheit, genauso, wie man sich vor allem als Rheinländer begreift.

"ein Versuch, die eigenen Angelegenheiten wieder in die Hand zu bekommen, ohne in einem eigenen Staat zu leben" 
Den Versuch machte vor allem eine Minderheit von Bürgern der DDR, die einen dritten Weg gehen wollten. Die Mehrheit machte den Versuch nicht mit.

"Tragik des Ostdeutschen – ein Zuwanderer zu sein, der auf seinem eigenen Territorium geblieben ist und doch in dem Gefühl lebt, seine Heimat verloren zu haben".

Zuwanderer waren die vielen - vor allem jungen - Leute, die nach der Vereinigung in den Westen gingen. Die, die blieben, verloren nicht ihre Heimat, sondern ihre gesellschaftliche Sicherheit. Dafür sprechen Rolf Hochhuth: Wessis in Weimar, Günter Grass: Weites Feld. 

Was dabei übergangen wird: Es gab eine PDS mit Gregor Gysi als Vorsitzendem, die primäre eine Kümmererpartei war. 
Die AfD ist eine Sammelpartei für alle Unzufriedenen, die durch die Coronamaßnahmen und durch die unzureichend sozial abgefederten Transformationsversuche vor allem bei parteipolitisch nicht gebundenen Wählern große Anziehung erreichte. Der rechtsradikale Flügel versucht mitnichten "die eigenen [ostdeutschen] Angelegenheiten wieder in die Hand zu bekommen, sondern eine gesamtstaatliche Rechtsradikalsierung zu erreichen. 
Das BSW  versucht, die ursprüngliche soziale Orientierung der WASG aufzugreifen und durch die aktuelle Problematik der Integration Geflüchteter zu ergänzen in strikter Abgrenzung von AfD und identitären Bestrebungen innerhalb der Linken.

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Der SPD-Generalsekretär Miersch über die Entwicklung seiner Partei

 "Mir fällt auf, dass es generell nach Corona schwieriger geworden ist, Formate zu finden, in denen vernünftig miteinander diskutiert wird. Den Diskurs, das miteinander Ringen, habe ich vor zehn Jahren noch ganz anders erlebt. Da ist etwas verloren gegangen. Da möchte ich gerne wieder hin. Natürlich müssen wir aufpassen, da Diskussionen medial gern als Streit interpretiert werden. Aber die Demokratie lebt doch von der Auseinandersetzung über den besten Weg." 

(Vorwärts 19.10.2014)

euro|topics: Georgien-Wahl: Was steht für Europa auf dem Spiel?

Georgien wählt am Samstag ein neues Parlament. Während sich die Georgier in Umfragen immer wieder deutlich für den Weg in die EU ausgesprochen haben, setzte die seit 2012 regierende Partei Georgischer Traum zuletzt Gesetze durch, die russischen Vorbildern ähneln und die Rechte der Opposition und der Zivilgesellschaft einengen. Die EU legte daraufhin den erst Ende 2023 eingeläuteten Beitrittsprozess des Landes auf Eis.

Nowaja Gaseta (RU)

In jedem Fall eine Wegscheide

Nowaja Gaseta erkennt eine Schicksalswahl:

„Georgischer Traum spricht von einer Wahl zwischen Krieg und Frieden. Die Opposition spricht von einer Wahl zwischen der 'russischen Welt' und dem europäischen Weg, den das Land in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen hat. ... Die Partei selbst behauptet unter Berufung auf eigene Umfragen, dass etwa 60 Prozent der Wähler bereit sind, für sie zu stimmen, so dass sie eine verfassungsändernde Mehrheit in der Tasche hätte, die es ihr ermöglichen würde, die Frage der Opposition endgültig zu klären und weiterhin nach eigenem Gutdünken zu handeln. Wenn das passiert, laufen viele Georgier Gefahr, am 27. Oktober in einem anderen Land aufzuwachen.“

Viktoria Robotnowa
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La Repubblica (IT)

Regierungspartei sabotiert EU-Beitritt

La Repubblica klagt:

„Während in Moldau die Bevölkerung noch gespalten ist, unterstützen hier mehr als 80 Prozent der 3,7 Millionen Bürger den Weg der EU-Integration. ... Die Partei, die seit zwölf Jahren an der Regierung ist, Georgischer Traum, setzt jedoch alles daran, diesen Weg zu sabotieren. Ihr Gründer und De-facto-Führer Bidsina Iwanischwili, ein Milliardär, der sein Vermögen in Russland gemacht hat, kontrolliert die Justiz und die Presse und hat freiheitseinschränkende Maßnahmen durchgesetzt, wie das so genannte 'russische Gesetz', das Medien und NGOs, die ausländische Gelder erhalten, dazu verpflichtet, sich als 'ausländische Agenten' registrieren zu lassen, oder ein Anti-LGBT-Gesetz. …. Die Proteste der Bürger reichten nicht aus: Anfang Juli musste die EU den Beitrittsprozess aussetzen, der erst im vergangenen Dezember begonnen hatte.“

Rosalba Castelletti
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El Mundo (ES)

Brüssel muss demokratische Kräfte mehr unterstützen

El Mundo fordert ein stärkeres Engagement der EU gegen unlautere Methoden Russlands, an Einfluss zu gewinnen:

„Am Sonntag schlug Russland eine neue Schlacht seines hybriden Kriegs gegen Europa. ... Seine Einmischung in der Republik Moldau ist der Vorbote einer ebenso gefährlichen Einmischung in die Parlamentswahlen in Georgien am Samstag. Die Bedrohung, die Putin für beide Gebiete darstellt und die wie in der Ukraine jederzeit militärisch werden könnte, zwingt die EU, ihre Unterstützung für die demokratischen Kräfte zu verdoppeln. Sie sind ein Schutzwall gegen einen zunehmend aggressiven russischen Imperialismus.“

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Financial Times (GB)

Faire Wahlen sind unwahrscheinlich

Die EU und die USA sollten sich schon mal über Strafmaßnahmen Gedanken machen, regt Financial Times an:

„Es gibt gute Gründe, daran zu zweifeln, dass die Wahlen an diesem Wochenende frei und fair sein werden. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass Iwanischwili und seine Partei von der Macht zurücktreten würden, falls die demokratische Opposition entgegen aller Wahrscheinlichkeit gewinnen sollte. Im Falle von Unruhen nach den Wahlen sollten die EU und die USA bereit sein, als Vermittler zu fungieren. Sollte Iwanischwili unrechtmäßig an der Macht bleiben und sich weiter vom demokratischen Pfad entfernen, werden Strafmaßnahmen gegen ihn – und nicht gegen das georgische Volk – notwendig sein.“

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